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Codiert. Der Genmais von Rainer Ehrt.

© ae-Galerie

Kultur: Das Gen hinter den Dingen

Ausgestelltes Unbehagen in der ae-Galerie: Neun Künstler äußern sich zur Genmanipulation

Stand:

Der Kleinmachnower Grafiker, Buchgestalter und Cartoonist Rainer Ehrt ist nicht nur ein kritisch engagierter Künstler, er ist auch der Anreger vieler nützlicher Ideen. Sein Opus „Gen-Mais“, bei dem jedes Einzelkorn mit einem Strichcode versehen ist, inspirierte die Potsdamer Innenstadt-Galeristin Angelika Euchner zu einer bemerkenswerten Themenausstellung. Neun Künstler äußern sich in der Hermann-Elflein-Straße 18 zum aktuellen Stand von Gentechnologie und Genmanipulation, zeigend, wie sie die schöne neue Welt sehen und verstehen. Dergestalt gleicht die ae-Galerie im Moment selbst einer Kreuzung aus Kunstraum, naturkundlicher Präsentation und Gruselkabinett, in denen Turbokühe nur noch kopflose Milch-Funktion sind und Püppchen Äste durch den Körper wachsen. Motive, wie man sie in den oft blutleeren Bilderwelten anderer Aussteller so selten findet wie den integrierten Lernfaktor hier; Lern-Gene gibt es ja Gott sei Dank nicht.

Engagement statt Genießen heißt also die Devise, und guten Appetit auch! Doch kann von Genuss wohl keine Rede sein, wenn Frauke Danzer etwa ihr „Chicken Designe“ vorstellt: schaurige Chimären zwischen Mensch und ausgenommenem Schlachthuhn. Oder wenn Ilka Raupach ihren „Schattenfrüchten“ wieder einmal Freigang gibt, Knollen, aus denen nicht etwa Keime, sondern Arme und Beine wie von Babys wachsen. Dagegen wirken Bernd Chmuras satirische Wimmelbilder, wie „Saatgutkrieg unter Mutanten“, beinahe harmlos. „Gen-Baukasten“ für den Eigenbedarf gefällig?

„Genmais und anderes Geflügel“ ist eine wohldosierte Mischung aus Kunst und Natur, aus Wahrheit und Fiktion, zugleich das ausgestellte Unbehagen am Voranschreiten der angewandten Genforschung und ihres wohldotierten Personals: Mutierten jene Käfer nach einem Chemie-Gau wirklich zu schillernd-bunten Krabblern, was hat es mit der ominösen Pelzbirne auf sich, und warum ist es einer Agrarfirma total schnurz, ob es nun weitreisende Monarchfalter gibt oder nicht? Solche Fragen stellt Renate Wiedemann behufs natürlicher Dinge. „Hitch“ hat nicht nur zwei Videoloops, sondern eine ganze Glasvitrine angefahren, um die Produktion von künstlichem Bier zu dokumentieren. Dabei sind Malz und Hopfen doch längst verloren. Kreaturen wie „Drosophila sapiens“ oder Jan Beumelburgs „Brötchenkäfer“ mit Krabbelbeinen gibt es nicht nur bei Elflein 18, sondern in vielen Alimenten, Nutrimenten, was beides „Nahrungsmittel“ meint. Es ist wirklich zum Weglaufen!

So lernt man in dieser wichtigen Ausstellung zweierlei. Ein Teil der Künstler bildet auf mehr oder weniger horrible Art die Phänomenologien oder die Auswirkungen der heillosen Genetik ab. Andere suchen gleichsam das entscheidende Gen hinter den Dingen, um es mal positivistisch auszudrücken. Zu diesen gehören Anja Isabel Schnapka mit dem Giclée-Druck „Herr der Schöpfung“ und, noch einmal, Rainer Ehrt mit dem großformatigen Porträt Darwins am Eingang. In der einen Hand die Bibel hält er mit der anderen einen modernen Genforscher am Schlafittchen. Rein biografisch wird das stimmen, aber sonst? Die Ausstellung scheint ja ganz auf seinem Mist gewachsen zu sein. Alle Künstler bedienen sich dummerweise mehr oder weniger seiner Denkart und Sprachwahl, dabei war er doch wirklich kein Großer! Was Oliver Zabels Assamblage „gallus domesticus“ als des Haushuhns Trauer wohl dazu sagt? Darwin hat sich seine Lehre ja vom Hausvieh abgeguckt!

Seltsam auch, dass es angesichts einer so finsteren Materie keinen Widerstand gegen solche Gen-Basteleien gibt. Die „Trägheit der Massen“ verhindert das wohl. So müssen die Künstler ran. Auch wenn sie das „Gen dahinter“ nicht gefunden haben, sei diese Schau den Schulen sehr empfohlen. Gerold Paul

Bis zum 5. Mai in der ae-Galerie, Hermann-Elflein-Straße 18, Mi., Do., Fr. 15 - 19 und Sa. 12 - 16 Uhr

Gerold Paul

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