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Kultur: Das gewisse Alter
Heute hat die Performance „Get out!“ an der „fabrik“ ihre Premiere: Getanzt von Frauen über 40
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Die Kraft lässt nach, die Haut wird welk, Hitze steigt auf. Frau um die 50 hätte durchaus Grund zum Klagen. Aber es gibt auch Positives in die Waagschale zu werfen: Die Kinder aus dem Haus, mehr Zeit für sich, Erfahrung im Job, Lust, sich in neuen Bereichen auszuprobieren.
Elf Frauen wagten im vergangenen Jahr den Sprung auf die Bühne, obwohl sie als Laien zumeist ihre ersten Tanzschritte gingen. Der Widerhall war groß. Nicht nur das weibliche Publikum fühlte sich von dem Gezeigten in der „fabrik“ angesprochen, auch Männer bekamen Lust, unter den anleitenden Profi-Händen von Sabine Chwalisz und Malvgen Gerbes ihr Leben zu tanzen.
Am heutigen Freitag hat nun das zweite Stück mit Frauen über 40 Premiere: „Get out!“. Die Männer wurden erneut außen vorgelassen, „nicht, weil wir ein Männerverweigerungsklub sind, sondern weil sich Frauen ganz anders öffnen, wenn sie unter sich sind“, so die Erfahrung von Sabine Chwalisz. Zwischen 42 und 62 Jahre sind die wiederum elf Frauen, die sich seit Februar in zehn Workshops abgetastet, aneinander gerieben, gegenseitig aufgebaut haben. „Gerade in der Gruppe entwickeln Frauen eine besondere Stärke: im zusammen etwas Schaffen“, so Sabine Chwalisz. Die Geborgenheit gebe ihnen Mut und Selbstbewusstsein, sich auf neue Abenteuer einzulassen. Doch natürlich geht es um mehr als einen Selbsterfahrungstrip. Für die beiden Choreografinnen Sabine Chwalisz und Malvgen Gerbes war es wichtig, den Bogen so zu spannen, dass in der Performance aus Tanz, Theater und Musik eine Abstraktion erreicht wird, die auch für das Publikum interessant sein könnte.
Die erste Hälfte der Proben bestand ausschließlich in Improvisationsübungen. „Wir haben immer neue Impulse in die Gruppe hineingegeben, fast bis zur Überforderung.“ Sie wollten die Frauen kennenlernen, ihre Talente, ihren Ehrgeiz und vielleicht auch Verstecktes herauskitzeln. Eine der Aufgaben, die die Frauen zu meistern hatten, war schlichtweg ein Spaziergang durch Potsdam. Jede Projektteilnehmerin sollte von ihrer Erkundung ein Objekt oder eine ungewöhnliche Bewegung mitbringen. Zudem sollte sie jemand Fremdes ansprechen und ihn in ein Gespräch verwickeln, bis sie spürte, dass sich in dem anderen etwas verändert. „Es sind unglaubliche Ergebnisse dabei herausgekommen, aber ich will nicht vorgreifen“, so die Tänzerin und Choreografin Sabine Chwalisz, die die Idee für dieses Frauen-Projekt hatte. Es ist für sie spannend, wie unterschiedlich sich das Leben jenseits der 40 gestalten kann. Selbst 48 Jahre, fühlt sich oft wie ein „Zwitter“. Auf der einen Seite kann sie auf sehr viel Berufserfahrung zurückblicken, andererseits startet sie mit ihrem fünfjährigen Sohn, der nächstes Jahr in die Schule kommt, und den dreijährigen Zwillingen gerade erst richtig durch. „Andere Frauen sind jünger als ich und haben schon erwachsene Kinder. Für sie stehen ganz andere Dinge an.“ Nicht die Anzahl der Jahre bestimme das Leben, sondern in welchen Ereignissen man gerade stecke. Ihre Kollegin Malgven Gerbes ist mit ihren 32 Jahren die Jüngste im Team. Sie hat zwar noch nicht die Lebenserfahrungen der anderen, kann aber Bewegungsideen beisteuern. „Diese Arbeit nimmt mir jede Angst vor dem Alter“, so die Französin. Gerade weil die Frauen zu ihren Stärken ebenso wie zu ihren Schwächen stünden.
Eine besondere Qualität von Frauen sei es, ganz ohne Neid reflektieren zu können, wie sie sich selbst und die anderen sehen. „Wir warten nicht darauf, welchen Platz uns die Werbung zuweist. Wir werden mit Anstand grau und verstehen Schönheit in einem anderen Sinne.“ Keine müsse sich verstecken, sondern sei Teil der Gesellschaft und dürfe ihre Sichtbarkeit über den Alltag hinaus beanspruchen, so Sabine Chwalisz. „Wir reden vom lebenslangen Lernen und sind dennoch schnell dabei, in unseren Köpfen die Senioren ins Altersheime zu stecken, wo ihnen brav vorgelesen wird. Doch das gefühlte Alter verändert sich. Meine Eltern sind viel agiler als es meine Großeltern im selben Alter waren. Es ist wichtig, für jedes Alter herausfordernde intelligente Angebote zu machen“, sagt Sabine Chwalisz, die auch künstlerische Leiterin der „fabrik“ ist.
Im Tanz nachspüren, wie sich der Körper verändert, zu welchen Bewegungen er fähig ist: über Arbeit, Haushalt und Familie hinauswachsen, die Liebe, Gesellschaft, Macht und Sehnsucht und eben das gewisse Alter tänzerisch erkunden. Darum geht es: Get out! Heidi Jäger
fabrik, 2. und 3. Dezember, jeweils 20 Uhr, Karten unter Tel. (0331) 2800314 oder www.fabrikpotsdam.de
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