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Premiere im Hans Otto Theater: Das große Glück im Kleinen

Stefan Otteni inszeniert „Wie im Himmel“ nach dem Film von Kay Pollak im Hans Otto Theater / Premiere am Freitag

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Der Zusammenbruch erfolgt zweimal. Zuerst am Anfang, wenn Daniel Daréus auf dem Höhepunkt seiner Karriere als international gefeierter Dirigent steht. Einer der es geschafft hat. Einer der glücklich sein müsste. Der zweite Zusammenbruch beschließt den Film „Wie im Himmel“. Mit dem Laienchor aus seinem Heimatdorf ist Daniel Daréus zu einem Wettbewerb gereist. Hier, in dieser fremden Stadt, hat Daréus endlich erkannt und akzeptiert, wie wichtig er für diese einfachen Menschen in seinem Chor ist. Und wie wichtig sie ihm sind. Er hat Lena seine Liebe gestanden, weil er endlich dieses so starke, so beängstigende Gefühl auch für sich akzeptiert hat. Dann spielt wieder sein Herz nicht mit. Der einstige Stardirigent und jetzige Laienchorleiter bricht zusammen. Für immer. Doch Daniel Daréus hat es jetzt wirklich geschafft, für die letzten Stunden, die letzten Momente war er ein wahrhaft glücklicher Mensch.

„Manche meiner Bekannten waren entsetzt, als ich ihnen erzählte, dass ich diesen Film auf die Bühne bringen will“, sagt Stefan Otteni. So einen Kitsch?, war deren Reaktion. Stefan Otteni lächelt und schüttelt leicht den Kopf. Natürlich ist „Wie im Himmel“ durch seine offensichtliche Konstruktion, wegen seiner Durchschaubarkeit und seiner plakativen Botschaften durchaus kitschig. Für den, der das so sehen will. Doch der Film, den der schwedische Regisseur Kay Pollak 2005 nach fast 20-jähriger Abstinenz in die Kinos brachte, erzählt vom Glück des Einzelnen in der Gemeinschaft und von der ewigen Utopie dieses Glückes. Am Freitag ist „Wie im Himmel“ im Hans Otto Theater zu erleben. Die erste Premiere im Theater am Tiefen See in der neuen Spielzeit.

Utopie, das ist ein Wort, das Stefan Otteni im Gespräch oft benutzt. „Wie im Himmel“ ist nach dem Kammerstück „Waisen“ und der Uraufführung von „Der Eisvogel“ nach dem Roman von Uwe Tellkamp seine dritte Regiearbeit am Hans Otto Theater. Schon dort hat Otteni auf subtile Weise mit der Familie und dem Glauben vom besseren Menschen zwei Utopien verhandelt. Nun geht es um das Glück. Die vom Menschen am sehnlichsten gewünschte, aber auch am schwierigsten zu erfüllende Utopie. Denn wenn der Mensch in der Gemeinschaft glücklich sein will, braucht es auch immer das Verständnis der anderen.

Mit „Wie im Himmel“ betritt der 46-jährige Otteni gleichzeitig Neuland. Es ist der erste Film, den er für die Bühne bearbeitet. Schon als er den Film vor neun Jahren im Kino gesehen hatte, war da der Wunsch, das auf die Theaterbühne zu bringen. „Diese Idee vom Einzelnen und der Gruppe, also hier im Chor, das ist einfach ein theatrales Thema“, so Otteni. Doch Filmregisseur Kay Pollack wollte lange nicht die Rechte an „Wie im Himmel“ freigeben. Jetzt, wo er es endlich getan hat, entsteht fast der Eindruck, dass mehrere Theater und Regisseure regelrecht darauf gelauert haben. Ob in Bremerhaven, Heilbronn, Schwerin, Halle oder nun in Potsdam, die Stadtteiltheater scheinen sich viel von den Bühnenversionen des Films zu erhoffen, den allein in Deutschland über 1,3 Millionen Kinobesucher gesehen haben und der im Jahr 2005 in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ für einen Oscar nominiert war.

Für Stefan Otteni sind das keine Kriterien für seine Inszenierung. Wenn er jetzt mit den Schauspielern und den Sängerinnen und Sängern vom Chor International, „pro musica“ und Gospellight aus Potsdam probt, spielt der Film für ihn keine Rolle. „Der ist nicht in meinem Kopf“, wie Otteni sagt. Und auch die Erwartung, dass ein erfolgreicher Film zu einer erfolgreichen Theaterinszenierung werden kann, interessiert ihn nicht. Für Stefan Otteni zählt die Utopie.

Für den Dirigenten Daréus zählte auch nur die Utopie von der Harmonie. Weil er sie im eigenen Leben nicht finden konnte, sich im Persönlichen ihr verweigerte, jagte er ihr in der Musik nach. Denn die Harmonie vieler Stimmen in der Musik, die den Zuhörer unglaublich beglücken kann, spiegelt im Grunde das Ideal menschlicher Harmonie wider. Doch je erfolgreicher er wurde, umso schwerer wurde diese Jagd. Erst als er sich von seiner Konzerttätigkeit löste, sich für die Liebe und den Laienchor in seinem Heimatdorf öffnete, fand er diese Harmonie. Eine Harmonie, die immer aber nur auf Momente beschränkt bleibt. Ein begrenzter Genuss.

Diesen beglückenden Moment der Harmonie sucht Stefan Otteni auch in der Arbeit mit den Theaterschauspielern. Ihm geht es nicht allein darum, mit allen Mitteln eine überzeugende Inszenierung abzuliefern. Wenn das Ensemble spielt und sich von den üblichen Egospielchen löst, wenn jeder auf der Bühne begreift, dass ein Schauspieler nichts ohne seine Kollegen ist, kommt er der Utopie von Harmonie am nächsten. „Regie, das ist die Kunst, sich entbehrlich zu machen“, sagt Otteni. Erst wenn die Schauspieler sich irgendwann fragen: Was hat eigentlich der Regisseur die ganze Zeit getan, wir haben doch alles gemacht?, war er gut.

Mit dem Ensemble am Hans Otto Theater hat er Schauspieler gefunden, die mit ihm diesen Weg gemeinsam gehen. Allein schon diese Voraussetzung bezeichnet Otteni als Glück. „Als junger Regisseur denkt man ja, nach zwei Jahren muss man auf dem Titelbild von ,Theater der Zeit’ stehen und danach folgt das Burgtheater. Aber dann kommt man hier nach Potsdam und kann mit solchen Schauspielern zusammenarbeiten“, so Otteni. Wie er davon spricht, scheinen sich in ihm auch die Erkenntnisse des Dirigenten Daréus zu spiegeln. Dass der, der das Glück fast schon zwanghaft im Großen sucht, ihm oft erst im Kleinen, scheinbar Belanglosen begegnet. Ein Theaterensemble sei da wie der Laienchor in „Wie im Himmel“. Jede einzelne Stimme zählt. Aber erst in der Gemeinschaft. Ist dieses Verständnis geschaffen, entstehen die Momente der Harmonie. Als Herausforderung bezeichnet Otteni die Zusammenarbeit der Schauspieler mit den Sängern der verschiedenen Chöre. Ungewohnte Situationen für beide Seiten, die es gemeinsam zu meistern gilt.

„Wenn der Zuschauer das Geschehen auf der Bühne verfolgt und denkt: Die haben ja die gleichen Problem wie ich und finden auch eine Lösung, dann ist das schon verdammt viel“, so Otteni. Denn Theater müsse Kraft geben, ein Päckchen Kraft. Und in seinen stärksten Momenten, den Glauben, dass diese Harmonie in der Gemeinschaft mehr sein kann als nur Utopie.

Premiere von „Wie im Himmel“ am Freitag, dem 27. September, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse

Dirk Becker

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