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Kultur: Das Gute veraltet nicht

Wieland Förster las im Huchel-Haus Wilhelmshorst

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Ein Künstler müsse unbedingt seiner Berufung vertrauen und die ihm aufgetragenen Werke vollbringen, ohne Rücksicht auf die Folgen, auf Gesellschaft und Welt, sagte der bekannte Bildhauer, Grafiker und Buchautor Wieland Förster am Donnerstag im Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus. Der Wille zum Werk allein zähle. Ein solches Fazit aus dem Munde eines fast Achtzigjährigen zu hören, kann eigentlich nur beflügeln: Fritz Cremers Meisterschüler wurde 1930 in Dresden geboren, saß ab 1946 in einem russischen Straflager bei Bautzen, wurde 1950 mit einem Lungenschaden entlassen. Obwohl Mitglied der Akademie der Künste, erhielt er Ende der Sechziger vier Jahre lang Ausstellungsverbot. Neben seinem bildnerischen Werk schrieb er eigentlich immer.

Nun haben der Berliner Lukas Verlag und das Brandenburgische Literaturbüro in einer Art Eilverfahren dafür gesorgt, dass ein fünfundzwanzig Jahre altes Manuskript, wohl eines dieser „notwendigen Werke“, endlich zur Öffentlichkeit findet. „Der Andere. Briefe an Alena“, wurde am Donnerstag dort präsentiert, wo der Künstler bereits für eine Büste des Hausherren gesorgt hatte. Hendrik Röder stellte es den Büchern von Wolfgang Hilbig und Kollegen zur Seite.

Von ihrer Zufallsbekanntschaft im Zuge nach Prag inspiriert, schreibt der unterbeschäftigte Ingenieur Friedrich K. in seinen Nachtschichten vierundvierzig sehr persönliche Briefe an Alena Stösslová in die tschechische Hauptstadt. Sie antwortet nicht, nur einmal schickt sie ein Bild mit Mann und Kind, kommentarlos. Die Sache gewinnt für den Verfasser immer mehr platonische Züge. Als „Dicker“ ist er für andere „der Andere“, im Selbstwertgefühl ein Ausgestoßener, ihr aber, der Unbekannten, Fremden, kann er genau deshalb alles anvertrauen, persönliche Erlebnisse, gesellschaftliche Beobachtungen, und jede Menge Gedanken zu der Lektüre, die er als Überwacher einer Berliner Strom-Zentrale nachts zu Papier bringt. Diese Alena erinnert ihn einerseits an seine Jugendliebe Inge, andererseits war Stösslová die Geliebte des Komponisten Janacek – eines der ungezählten Assoziations-Elemente Försterscher Belesenheit und Prosa.

Flaubert, Kafka, Werfel, Brod und viele andere durchgeistern das Buch, zugleich eine Liebeserklärung an Prag. Alena antwortet nicht, folglich dienen all die Briefe zum Ende hin immer mehr der Selbstverständigung des Pyknikers. Unerreichbar die Frau – unerreichbar die Kunst! Das ist es wohl.

Försters Lesung brachte davon so sehr viel nicht herüber. Danach aber machte er schnell deutlich, dass es ihm darum ging, „Zeugnis für den Menschen“ abzulegen. Altersweisheit kommt immer gut an: Als er vom Schicksal der von ihm porträtierten „Gelähmten“ erzählte, als er sich darüber amüsierte, wie sehr seine Landsleute alles „über die Macht reflektierten“. Nur zwei Bücher drücken für ihn das heutige Deutschland aus, Kleists Kohlhaas und Kafkas „Schloss“. Er selbst findet sich im Denken von Albert Camus am besten gespiegelt, der Mensch, sagte er, interessiere ihn mehr als irgendeine Gesellschaft. „Dafür habe ich gelebt“. Bei ihm hat das Werk Primat. Und warum ein Briefroman?, wollte Röder wissen. „Hätte Euripides für heute geschrieben, gälte sein Stil als modern. Das Gute veraltet nicht“, so Förster. „Der Andere“ will zwar keine politische Abrechnung sein, aber Politik kommt darin schon vor – wenn etwa zum Schluss in Ost-Berlin plötzlich das Licht ausgeht ...Gerold Paul

Gerold Paul

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