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Kultur: Das Herzland

Wolfgang Büscher las in der Villa Quandt

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Kenner hatten ihn dringlichst gewarnt, zu Fuß durch Amerika zu gehen. Wirklich niemand sei dort zu Fuß unterwegs, nicht einmal in den Städten. So müsse er ja auffallen wie ein Freak. Kaum auf Wanderschaft, warnte man ihn erneut, diesmal vor Berglöwen und wilden Kojoten, bald vor schießwütigen Texanern. Davon beirren lassen hat sich der Journalist Wolfgang Büscher freilich nie und sich, wie schon für seine Reiseberichte „Berlin-Moskau“ und „Asiatische Absencen“, auch für sein neuestes Buch „Hartland“ abermals allein zu Fuß auf den weiten Weg gemacht. Die Mitte der USA, die Great Plains hat Büscher von Nord nach Süd durchwandert, von der kanadischen Grenze bis runter zum Rio Grande, über 3500 Kilometer in 3 Monaten, immer entlang der alten Route 77, die er sein „Leitseil“ nennt.

Dabei schien das Abenteuer gleich anfangs zum Scheitern verurteilt. Was Büscher am Mittwochabend den gut 70 Gästen in der Villa Quandt vorliest, klingt bedrückend und komisch zugleich. Wie ein potenzieller Terrorist wird er in North Dakota von amerikanischen Grenzbeamten stundenlang festgehalten, einem gründlichen Durchleuchtungsprozedere unterzogen und regelrecht verhört, weil sich in seinem Pass die Einreisestempel von China und Jordanien befinden. Erst als einer der übereifrigen Grenzer besonders ausfallend wird und den Papst offenbar mit Hitler verwechselt, geht Büscher als Sieger aus diesem „Duell“ hervor. Fluchend verschwindet der Beamte und prompt werden die ohnehin haltlosen Vorwürfe fallengelassen. Tatsächlich sei ihm solche Feindseligkeit aber nur an dieser Grenzstation begegnet, erzählt Büscher später. Den stärksten Eindruck habe hingegen die Hilfsbereitschaft der Amerikaner auf ihn gemacht. Oft, wenn er inmitten dieser endlosen Prärien, auf der weithin leeren Landstraße sich tapfer den unablässigen Windenpeitschen entgegenstemmte, sei er von Farmern, die plötzlich mit ihren Pick-Ups neben ihm hielten, ein paar Meilen mitgenommen worden.

Büscher wanderte durch das Herzland der USA, mitunter durch Geisterstädte wie das leitmotivische Heartland oder durchs Städtchen Plattsmouth, das nicht weniger verlassen wirkt, da sich seine Einwohner scheinbar nur in ihren Wohnungen aufhalten. Bei einer „perfekt frisierten Hauswirtin“ mietet er sich ein Zimmer mit dunkelbraunen Möbeln, rosa Plüschsofas und etlichen goldgerahmten Bildern an den Wänden. Die Heiterkeit, die während der Lesung bei den Gästen aufkommt, ist nicht von ungefähr, verdankt sich aber auch der unbeteiligt wirkenden und trockenen Vortragsweise, mit der Büscher seine Reiseeindrücke an diesem Abend wiedergibt. Ein bestechend ruhiger, sehr treffender Ton, der auch die poetischen Momente nicht beleidigt. Kein Wunder, dass Büscher freundlich aufgefordert wird, „Hartland“ als Hörbuch aufzunehmen. Nein, der tagelange Aufwand sei ihm insgesamt zu hoch, der gute Vorleser will es lieber bei Einzeldarbietungen belassen.

Warum er immer alleine reise, wird Büscher auch gefragt. Es muss etwas mit der Intention dieses Reiseschriftstellers zu tun haben, der seine Bilder nicht mit dem Fotoapparat, sondern mit den Sinnen einfängt und sie nicht am selben Abend schon mit Weggefährten zerreden will. Einsam sei er deshalb bestimmt nicht und oft habe er von diesen liebenswerten amerikanischen Landeiern immer gleich freiweg deren ganzes Leben erzählt bekommen. Als Fußgänger komme man eben nicht umhin, sich vollends dem Land auszuliefern und ständig seine Bewohner kennen zu lernen. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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