Kultur: „Das ist das Potsdamer Gesicht“
Wolfram Baumgardt über seinen Blick auf die historische Mitte, den Unterricht bei Paul August und den Zauber des Porträts
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In der Ausstellung „Stadt-Bild/Kunst-Raum“ zeigt das Potsdam Museum erstmalig Werke aus der hauseigenen Sammlung mit Kunst aus der Zeit der DDR, darunter auch zahlreiche Arbeiten von Potsdamer Künstlern zum Thema Stadt. Die PNN befragen einige dieser Potsdamer Künstlerinnen und Künstler zu ihren Werken, ihrem Verhältnis zu dieser Stadt und ihrem Dasein als Künstler in der DDR. Nach Barbara Raetsch, Peter Rohn, Wolfgang Liebert, Christa und Peter Panzner und Manfred Butzmann kommt nun Wolfram Baumgardt zu Wort.
Herr Baumgardt, war das Jahr 1982 ein besonderes für Sie?
Nein, das war ein Jahr wie jedes andere. Und mein Bild „Potsdam“, das ich in diesem Jahr gemalt habe, war ja nicht das erste, auf dem ich mich mit dem Stadtschloss und der historischen Mitte auseinandergesetzt habe. Denn dieses Thema war schon immer präsent.
Warum war das Stadtschloss schon immer so präsent bei Ihnen?
Ich bin zwar nicht in Potsdam geboren, aber mit meiner Familie im Alter von zwei Jahren hergezogen. Ich habe den Bombenangriff auf die Stadt im April 1945 miterlebt und so gehörten die Ruinen vom Stadtschloss und der Garnisonkirche zu meinem Alltag. Als Kinder haben wir dort gespielt, haben das als Abenteuerspielplatz begriffen. Aber je älter ich wurde, umso klarer wurde mir, was da verloren gegangen war. Ich habe die Zerstörung von Stadtschloss und Garnisonkirche immer schon als Makel empfunden, mich hat das nicht losgelassen. Und so habe ich mir das von der Seele malen müssen. Das erste Mal 1974 mit dem Bild „Trauernder“. Potsdam ist dort aus der Vogelperspektive und im Himmel das Stadtschloss und die Garnisonkirche zu sehen. Dort, wo beide Gebäude standen, habe ich zwei Gräber gemalt. Und am Grab des Stadtschlosses habe ich mich selbst als Trauernden porträtiert.
Ein sehr gewagtes Bild zu dieser Zeit in der DDR, denn Sie beziehen sehr deutlich Stellung.
Ja, das war auch der Grund, warum ich es nicht signiert und auch nie ausgestellt habe.
Acht Jahre später, 1982, haben Sie das Thema noch einmal aus der gleichen Perspektive bearbeitet.
Weil ich einfach das Gefühl hatte, ich muss es tun. „Trauernder“ hat die Maße 60 mal 80 Zentimeter. Jetzt wollte ich das Thema noch einmal größer machen. Für „Potsdam“ mit den Maßen 1,80 mal 2,10 Meter habe ich mir dann auch mehr Zeit genommen.
Aber auch dieses Bild werden Sie in der DDR kaum ausgestellt haben.
Richtig. Aber 1989, kurz vor der Wende, war es dann doch hier in Potsdam in der Galerie im Staudenhof zu sehen.
Und wie hat das Publikum darauf reagiert?
Im Grunde gab es da keine Reaktionen. Das wirkte zum damaligen Zeitpunkt auch so weit weg.
Im Gegensatz zu „Trauernder“ ist hier Ihre Stellung nicht so klar. „Potsdam“ kann auch so gelesen werden, dass diese historischen Gebäude nur noch Luftschlösser sind und in der Stadt nun Platz für Neues entstanden ist.
Nein, ganz im Gegenteil. Das ist eine Mahnung, dass diese Gebäude wieder aufgebaut werden, damit Potsdam wieder sein Gesicht erhält.
Aber warum dem nachtrauern, was nicht mehr war, sondern endgültig zerstört wurde?
Während meines Studiums an der Fachhochschule für Angewandte Kunst hier in Potsdam Anfang der 60er-Jahre gehörte auch Paul August zu meinen Dozenten. Ein bekannter Potsdamer Maler, Grafiker und Pädagoge. Kunstwissenschaft und Naturstudien hat er bei uns gelehrt. Und immer, wenn er zu uns in den Unterricht kam, sagte er in seinem ostpreußischem Singsang über den Abriss der Stadtschlossruine: „Nee, nee, meine Herren, ich kann da jar nicht mehr hinkieken. Die reißen Potsdam die Neese aus’m Jesicht.“ Denn wenn man das alte Potsdam aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht man die Nikolaikirche, das Rathaus, das Stadtschloss und darunter wie einen Mund den Neptunteich. Das ist das Potsdamer Gesicht. So hat es Paul August immer gesagt. Und das prägt einen natürlich sehr.
Für Ihre Bilder haben Sie sich ebenfalls für die Vogelperspektive entschieden.
Dabei habe ich auf eine historische Flugaufnahme zurückgegriffen, die das alte Potsdam aus dieser Perspektive zeigt.
Es ist also das historische Potsdam, das Sie ausschließlich interessiert?
Ja, vor allem auch Sanssouci. Diese barocke Vielfalt, das fasziniert mich einfach.
Bei Ihrem starken Interesse für die historischen Bauwerke in Potsdam, dieses Empfinden von Verlust durch den Abriss der Ruinen vom Stadtschloss und der Garnisonkirche, haben Sie da das Entstehen von neuen Gebäuden vor allem kritisch verfolgt.
Nein, auf keinen Fall. Als das Interhotel, das heutige Hotel Mercure, gebaut wurde, bin ich dem nicht mit Ablehnung begegnet. Da wurde wieder etwas aufgebaut. Darüber haben wir uns damals gefreut.
Aber heute sehen Sie das sicherlich anders.
Aus heutiger Sicht, auch mit Blick auf das wiedererbaute Stadtschloss und die Bemühungen um die Garnisonkirche, sehe ich das natürlich kritisch.
War Ihnen mit der Wende von 89 schon bewusst, dass sich hier Möglichkeiten für eine Rekonstruktion der historischen Mitte eröffneten?
Nein, da war erst einmal Euphorie. Ich bemühte mich damals um einen Laden in der Brandenburger Straße, in dem ich meine Kunst verkaufen wollte.
Was ist aus diesem Projekt geworden?
Ich habe keinen Laden bekommen. Heute sage ich: zum Glück. Denn das wäre mit Sicherheit nicht gut gegangen.
Sie sind in der Initiative „Mitteschön“, die sich für den Wiederaufbau von Potsdams historischer Mitte starkmacht, aktiv und haben erst kürzlich ein Triptychon für eine Ausstellung in der Nagelkreuzkapelle zum Thema „Wiederaufbau der Garnisonkirche“ gemalt, auf dem Sie auch bekannte Gesichter von Gegnern dieses Wiederaufbaus wie Lutz Boede verewigt haben. Verstehen Sie Kunst auch als Mittel zur politischen Einmischung?
Auf jeden Fall. Dabei geht es mir aber nicht darum, jemanden bloßzustellen. Ich schätze hier die Gegenüberstellung der Positionen, aus der sich eine Meinung bilden lässt. So habe ich vor dem Wiederaufbau des Stadtschlosses, als es die unterschiedlichsten Diskussionen über die Bebauung des Areals gab, ein Bild gemalt, mit Blick von der Langen Brücke, auf dem ich das Stadtschloss einer Tiefgarage gegenübergestellt habe. Denn über eine solche Tiefgarage wurde damals ja auch diskutiert. Wenn man dann sieht, wie das aussehen würde, kann das schon von Vorteil sein.
Wie sind Sie zur Malerei gekommen?
Ich war vielleicht fünf Jahre alt und lebte mit meiner Mutter und meiner Schwester bei einer vornehmen Dame in der Nansenstraße zur Untermiete. Ich nannte sie Tante Else und durfte sie regelmäßig in ihrer guten Stube besuchen. Dort hingen in großen Goldrahmen wunderschöne Landschaften, die mich fasziniert haben. Regelmäßig bekam Tante Else Besuch von einem Maler und Illustrator, von dem ich mal einen illustrierten Buchumschlag gesehen hatte. Damals habe ich schon gezeichnet, auch Selbstporträts. Und dieser Künstler, Herr Büchner, hat sich Zeit genommen und meine Bilder angeschaut. Er hat mich korrigiert und mir Tipps gegeben. Als ich dann einmal ein solches Porträt von mir gezeigt habe, hat er das sehr gelobt. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Und in einem Alter, in dem die meisten Jungen als Berufswunsch Lokomotivführer angeben, war für mich klar, dass ich Maler werden würde.
Wie die historischen Potsdam-Motive sind auch die Porträts ein beständiger Begleiter Ihrer künstlerischen Laufbahn geblieben.
Ja, wobei ich aber gestehen muss, dass ich keinen absoluten eigenen Stil entwickelt habe. Also in dem Sinne, dass ich nur mit Struktur arbeiten oder nur Dreiecke malen würde. Ich bin ein sehr vielseitiger Künstler und immer dem Realismus verschrieben, wobei sich da ab und an auch eine neoimpressionistisch-expressive Art zeigt. Aber ich habe mich auch mal im Abstrakten probiert oder am Fotorealistischen. Aber bei all dem ist mir das Realistische wichtig. Und das da zuerst einmal das Können kommt. Also Zeichnen können, bevor man sich dem Abstrakten widmet. Das haben ja auch die großen Künstler vorgemacht. Wenn ich da an Picasso denke, wie der mit 16 Jahren gemalt hat, das war so altmeisterlich, einfach unglaublich. Zurzeit arbeite ich wieder hauptsächlich an Porträts. Nicht zwingend von einer bestimmten Person, sondern weil durch das Zeichnen plötzlich Menschen entstehen.
Was meinen Sie damit, dass erst beim Zeichnen von Porträts Menschen entstehen? Das klingt ein wenig paradox.
Ich arbeite und lass dabei den Bleistift einfach über das Papier gleiten. Mal wird dann die Nase länger oder der Mund kleiner. Und immer wieder stelle ich dabei fest, dass es unzählige feine Möglichkeiten gibt, ein Gesicht zu verändern. Und dabei entstehen dann Menschen.
Wenn Sie heute auf Ihr Bild „Potsdam“ schauen, was ist das für ein Gefühl, dass aus Ihrer Mahnung im Grunde Wirklichkeit geworden ist.
Ganz ehrlich: Manchmal wirkt das alles wie ein Traum. Damals ging es mir darum, dass Potsdam sein Gesicht wieder erhält. Eine Mahnung im Bild, was diese Stadt verloren hat. Und nun entsteht diese historische Mitte neu.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Die Ausstellung „Stadt-Bild/Kunst- Raum“ ist wegen des großen Publikumsinteresses und der überaus positiven Resonanz verlängert worden und ist bis zum 25. Januar im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9, zu sehen. Der Ausstellungskatalog kostet 17 Euro, der Eintritt 5, ermäßigt 3 Euro.
Wolfram Baumgardt, geboren 1941 in Spremberg, studierte an der Fachschule für Werbung und Gestaltung (FWG) und arbeitete als Theatermaler bei der Defa. Heute lebt er in Potsdam.
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