Kultur: Das Kreuz tragen
Ein Kapitel Simon von Kyrene in der „Dornenzeit“
Stand:
Im Zentrum der diesjährigen „Dornenzeit“ stehen Personen, welche die Passion Christi zum Kreuz vorbereitet oder begleitet hatten. Nachdem die veranstaltende Friedensgemeinde in den vergangenen Samstag-Vespern bereits Judas Ischarioth und Pontius Pilatus vorgestellt hatten, ging es diesmal um eine weniger beachtete Figur auf dem Wege nach Golgatha. Von ihr sagt das Lukas-Evangelium: „Und als sie ihn hinführten, ergriffen sie einen, Simon von Kyrene, der vom Felde kam, und legten das Kreuz auf ihn, daß er“s Jesus nachtrüge“. Dies darf man getrost allegorisch auffassen: Zwar nicht freiwillig, aber getreu, nahm der eine die Last des anderen auf seine eigenen Schultern. Wieder wählte Klaus Büstrin die Nachdenklichkeit von Margot Käßmann, um den Sinn dieser Bibelworte zu veranschaulichen. Liebe, Fürsorge und das „Er-Tragen“ der Krankheit anderer in der Person des Gekreuzigten stand auch im sehr opulenten Musikteil ganz oben. Organist Tobias Scheetz, hierzulande kein Unbekannter, hatte eine meist meditative Literatur mit deutlicher Bach-Präsenz gewählt – aus der Matthäus-Passion „O Haupt, voll Blut und Wunden“ sowie zwei Arien, die die Sopranistin Sophie Malzo anfangs mit einigen Intonationsschwächen, dann aber mit schöner Sicherheit vortrug. Scheetz neigt zu einer akademischen, mehr sachlichen Wiedergabe, wie eingangs bei Dietrich Buxtehudes Ciacona c-Moll gehört. Sein Spiel war in mäßige Tempi gesetzt, im Ausdruck verhalten, ein klar strukturiertes Nacheinander der Zeit, alles sehr gediegen. Das blieb so bis zum Präludium h-Moll von Bach am Ende der Vesper. Von Lothar Graap (geb. 1933) war mit „Fürwahr er trug unsere Krankheit“ eine musikalische „Kreuzesübernahme“ in sehr melodischen Figuren zu hören, von Andreas Armsdorf, 17. Jahrhundert, ein respiratorisches Klanggefüge aus Orgel-Partiten und Chorälen auf „Jesu, meines Lebens Leben“.
Der Versuch, einen Dialog zwischen Orgel und Sprecher von Graap komponierten Psalm 22 (Text: Arnim Juhre) herzustellen, funktionierte nicht. Büstrin bemühte sich um Eindringlichkeit, Scheetz um kräftige Sequenzen, aber Stimme und Instrument wollten nicht zueinander kommen. Den Unterschied bemerkte man schnell, als der Sprecher „Warum sollt ich mich denn grämen“ von Paul Gerhardt solo vortrug. Noch einmal wurde das Simon-Thema in einem Gedicht von Christiane Lavant aufgenommen. Sie machte sich ihre eigenen Gedanken: Zum Entsetzen der Jünger Jesu lässt sie Judas vom Strick abschneiden, an den er sich wegen seines Verrates selbst hängte: „Habe ich Jesus das Kreuz nachgetragen, so trage ich ihm auch den Judas nach“ – fürwahr ein sehr starkes Wort.Gerold Paul
Gerold Paul
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