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Kultur: „Das Leben ist zu kurz für Grau“

Die kunterbunte Frauenwelt Dorothea Siegert-Binders hat sich für die Galerie Töplitz herausgeputzt

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Die meisten entsorgen ihre alten Zeitungen in der gelben Tonne, andere wickeln Fisch darin ein. Dorothea Siegert-Binder hingegen lässt sie als Engel aufsteigen. Ihre fröhlich-bunten Wonneproppen fliegen ab morgen durch die Galerie Töplitz und lassen jeden grauen Nebelschwaden des Herbstes vergessen. „Engel können fliegen, weil sie sich selbst nicht so schwer nehmen“, ist wie ein Wegweiser auf dem Fußboden der Ausstellung zu lesen. Und fürwahr, diese Engel beflügeln – zumindest in der Fantasie.

Papier ist für die gebürtige Thüringerin das beste Material, um ihre übersprudelnde Ideenwelt so schnell wie möglich festzuhalten. „Manchmal arbeite ich wie im Fieber, fühle mich regelrecht getrieben, meine Gedanken zu formen.“ Wie eine Theaterspielerin lässt sie ihre Puppen „tanzen“ – natürlich ganz nach eigener Pfeife. Da gibt es die gefrusteten Shopperinnen oder die alten Schachteln, ihre wenigen Männer balancieren als Akrobat Schön. „Ich fange Szenen ein, die einem ohne Ende jeden Tag begegnen.“ Und sie gibt ihr Augenzwinkern dazu. „Natürlich sind es immer die anderen, die wir in den Figuren erkennen. Oder werden wir beiläufig doch auf die eigenen Unzulänglichkeiten gestupst?“

Trennungsgeschichten, Abnehmen, Fitness, Einkaufswahn – Themen, wie man sie kennt. Dorothea Siegert-Binder macht daraus „Karin klammert“: mit beiden Händen hält ihre Karin das rote Herz ganz fest, ihr Haar ist mit einer Mini-Klammer-Sammlung drapiert. Ihre „Fitness-Frieda“ lässt sie indes mit Hanteln schwitzen und ihre Alten Schachteln bestehen wirklich aus alten Schachteln. Wenn man keck die Röcke hebt, kann man darin trefflich kleine Botschaften verstecken.

Neuerdings haben manche ihrer Frauen einen Geldschlitz im Rücken und heißen „Die Sparsame“ – praktisch, wie Frauen eben sind. Männer sind in der munteren Karikaturen-Parade in der Minderheit. Neben der „Steh auf Frau“ findet man aber schon mal den „Fall-um-Mann“. „Frauen lassen sich bunter anziehen, zeigen mehr Gefühle, und ich kenne sie auch einfach besser.“

Dorothea Siegert-Binder ist Puppenspielerin, Geschichtenerzählerin, Bühnenbilderin und Malerin in einer Person. Was jetzt so metaphorisch zusammenfließt, beanspruchte jedes für sich eine bestimmte Lebenszeit.

Ihre berufliche Laufbahn begann als Dekorateurin, dann folgte ein Studium an der Fachschule für angewandte Kunst in Sonneberg mit Fachrichtung Spielzeugdesign. Später arbeitete sie als Grafikerin und schließlich, als die eigenen Kinder kamen, als Puppenspielerin. Drei Jahre zog sie mit einer Freundin und ihrer sich ständig vermehrenden Puppenfamilie durch die Lande.

„Erst saßen sie fest vor mir, dann sind sie aufgestanden, schließlich mauserten sie sich zu Akrobaten und irgendwann schwebten sie“, erzählt sie über die „Menschwerdung“ ihrer Figuren, die natürlich auch viel über sie selbst offenbaren. Wenn die Künstlerin über ihre Arbeit spricht, spürt man, dass sie dabei geradezu auf „Wolke 7“ schwebt. „Es gibt so wunderbare Papiere, darin kann ich richtig schwelgen.“ Dabei ist ihr plastisches Gestalten aus einer Recycling-Idee entstanden: „Ich wollte aus Nichts etwas machen. Inzwischen bin ich bei den teuersten Papieren angelangt, von denen ich nicht mehr lassen kann. Nach einer gut gelaufenen Ausstellung schlage ich zu.“

Und so sehen die über Drahtgestell und aus Zeitungen zusammen gekleistertem Pappmaché gezogenen „Kleider“ wie feinste Stoffe aus. Dabei sind sie aus Natur- oder Geschenkpapier mit tollstem Design. „Ich lasse die Papiere zueinander fließen.“ Ganz ohne Näthe.

In Töplitz stellt die 49-Jährige auch ihre Bilder aus. „Das mache ich eher selten, denn sie sind etwas sehr Privates.“ Malerei ist für sie Luxus, eine Erholung vom kleinen Fummelkram an den Skulpturen, die immer dicker, größer, bunter, verrückter werden. „Das Leben ist zu kurz für Grau“, so ihre Maxime.

Und auch bei Marianne Kreutzberger brachte sie damit einen Stein der Sympathie ins Rollen. Bei einer Freundin fiel ihr ein Kulturführer vom Kaiserstuhl in die Hände, auf dessen Cover eine Siegert-Binder-Frau mit Hund witzig naiv posiert. Immer in Hab-Acht-Stellung für ungewöhnliche künstlerische Entdeckungen machte sich die Ausstellungsorganisatorin des Vereins Havel-Land-Art Töplitz auf den Weg, die Macherin auszuspähen. Und fand sie: in Freiburg, wo sie es sich mit ihren zwei Töchtern in der wärmsten Gegend Deutschlands gut gehen lässt.

Im etwas kühleren Töplitz möchte sie nicht nur mit ihren eigenen Arbeiten auftrumpfen, sondern die Lust am Ausprobieren teilen. Am Ende ihrer zwei Workshops Pappmaché soll es auch bei den Anfängern heißen: „Da machen Sie eine gute Figur.“

Kurse am 21. und 22. Oktober, jeweils 9 bis 15 Uhr. Anmeldung: 0175-286 07 29, Kursgebühr 85 €. Die Ausstellung beginnt Samstag 17 Uhr, um 16 Uhr Eröffnungskonzert in der Dorfkirche.

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