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Mehr Brandenburg geht kaum: Birken, Melancholie und Einsamkeit. Die Allee in Rheinsberg könnte auch auf einer der Routen von Tom Schulz und Björn Kuhlig gelegen haben.

© dpa

Kultur: „Das Lied von Grebe ist zu plakativ“

Der Autor Tom Schulz über seine Wanderungen auf Fontanes Spuren durch die Mark Brandenburg

Stand:

Herr Schulz, Sie sind gerade unterwegs – zieht es Sie schon wieder raus aus Berlin und in die Provinz, wie für Ihr Buch „Wir sind jetzt hier. Neue Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, für das Sie mit Ihrem Kollegen Björn Kuhligk durch Brandenburg gereist sind?

Nein, ich habe ein Literaturstipendium. Das heißt, dass man eingeladen wird, um irgendwo ein paar Monate zu leben und zu arbeiten. Man bekommt so eine Apanage, also einen Betrag x pro Monat. Aber ländlich ist es auch hier. Das ist alles Weinbaugebiet in der Pfalz, sehr ruhig, und man hat weniger Ablenkung als zum Beispiel in Berlin. So lernt man auch immer etwas anderes in Deutschland kennen.

Gibt es da eine Sehnsucht nach dem Ländlichen, die die Berliner immer wieder rauszieht?

Ja, natürlich. Ich bin ja in der Oberlausitz geboren und habe durchaus einen Hang zum Ländlichen. In Berlin lebe ich schon so lange, das ist eine tolle Stadt, auch wenn sich viel verändert hat. Ich nehme mir aber auch jedes Jahr vor, ein paar Monate Berlin fernzubleiben.

Am Mittwoch lesen Sie in Potsdam mit Björn Kuhligk aus Ihrem Buch. Der Titel lässt sofort an Fontane denken. Ist das Absicht?

Nein, überhaupt nicht! Der Buchtitel ist bewusst von Björn Kuhligk und mir gewählt worden. Wir kannten ja Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, auch wenn wir nicht alle fünf Bände gelesen haben. Wir fanden es aber einen guten Aufhänger, zumal wir festgestellt haben, dass es nach 1990 wenig Literatur darüber gab. Davor haben sich einige Leute noch auf Fontanes Spuren begeben, aber wir wollten das jetzt, im 21. Jahrhundert, machen.

Haben Sie sich bewusst an Fontane orientiert?

Wir wollten an ganz bestimmte Orte, die Fontane besucht hat – nach Neuruppin, nach Rheinsberg, in den Spreewald.

Aber was Fontane erlebt hat, ist doch nicht mehr dasselbe?

Absolut nicht! Fontane hat aber eine Art kulturgeschichtlichen Führer geschrieben.

Das haben Sie doch auch.

Wir haben eher ein literarisches Buch geschrieben, das weniger kulturhistorische Fakten aufzeigt, sondern mehr mit Leuten und Landschaften in Berührung kommt. Das war uns auch ganz wichtig.

Brandenburg hat ja diesen Rainald-Grebe-Ruf: Nimm dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg. Stimmen die Klischees?

Ich finde, dieses Lied von Rainald Grebe viel zu plakativ. Aber viele Lieder funktionieren einfach so, dass sie etwas abrufen. Wir wollten es aber genauer wissen. Es gibt viel mehr Akzente als viele Arbeitslose, Landflucht und Neonazis. Und darüber waren wir auch froh.

Gab es auch ungute Momente, Kontakte mit Neonazis etwa?

Eigentlich nicht. Im Grunde haben wir uns immer wohlgefühlt. Aber wir waren auch zu zweit unterwegs, und das kennt jeder, der mit dem Partner verreist, da gibt es auch mal Meinungsverschiedenheiten, die aber schnell vorbei waren.

Das war eine Art Pärchenausflug?

Naja, wir sind ein Team, ein A-Team, wie ich es nenne. Und wir haben auch schwierige Situationen gesucht: Wir waren zum Beispiel im ehemaligen Kernkraftwerk in Rheinsberg, wir haben in der Nähe von Neuhardenberg einen alten NVA-Komplex gefunden, der vor sich hinrottete – und da sind wir rein.

Hallt die DDR-Vergangenheit noch nach?

Es gibt sehr ambivalente Orte, Schönheit und Verfall. Das wollten wir auch zeigen: Alles, was wir heute darstellen, hat auch einen Bezug zur Vergangenheit. Manche Texte sind deshalb Zeitreisen in die Vergangenheit, der zur Grenzstation Dreilinden etwa: Fontane hat über das Schloss geschrieben, wir haben dort ein Westberliner Ehepaar getroffen, das sich erinnert hat, wie das war.

Gibt es diese Brandenburger Sehnsucht nach ostdeutschen Strukturen noch?

Eher weniger. Es gibt immer noch ein paar Nostalgiker, die sich eine Zeit zurückwünschen, die Gott sei Dank vorbei ist. Wir sehen natürlich, dass die Wiedervereinigung manche Biografien beschädigt hat – mit der neuen Freiheit auf der einen, und manchem Kampf auf der anderen Seite, wie zum Beispiel in der Stahlarbeiterstadt Brandenburg, in der das Werk geschlossen wurde.

Und diese latente Traurigkeit, die man den Brandenburgern so nachsagt?

Man findet im Oderbruch etwa diese Landschaften voll Schönheit und Melancholie. Das ist ja auch eine Qualität, aber Traurigkeit würde ich nicht sagen. Viele Leute haben sich durch Rückschläge nicht aus der Bahn werfen lassen.

Haben Sie Orte entdeckt, die Sie nicht kannten und nun liebgewonnen haben?

Das Oderbruch bei Lebus, die kleinen Orte zwischen Bad Freienwalde und Neuhardenberg – oder Altfriedland, ein Dorf, in dem wir das Maifest erlebt haben. Da wurde in einer Dorfkneipe gefeiert, die hieß „Gasthaus zur Wende“.

Sie lesen am Mittwoch ja zu zweit. Wie haben Sie das Buch zu zweit geschrieben?

Wir haben situativ entschieden, wer was schreibt, bei manchen Texten hat jeder einen Teil geschrieben. Abends haben wir immer zusammengesessen, in einer Pension oder einer Gaststätte, und das Erlebte notiert. Es ist ein Werk von uns beiden, aber mit unterschiedlichen Texten und Stimmungen.

Gibt es eine Fortsetzung der Reihe? Vielleicht aus Mecklenburg-Vorpommern?

Wir können uns schon vorstellen, noch mal ein Buch zu machen, da wir sehr gut zusammenarbeiten. Mein Traum wäre ja eine erweiterte Ausgabe zum 200. Geburtstag von Fontane im Jahr 2019. Aber Björn Kuhligk und ich werden auf jeden Fall weiter zusammenarbeiten.

Das Gespräch führte Oliver Dietrich

Björn Kuhligk und Tom Schulz lesen am Mittwoch, dem 9. April, um 20 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse 1, aus „Neue Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, der Eintritt kostet 6 Euro

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