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Kultur: Das Neueste: „Zeugnisse für Lehrer“, „Schröder klakt über Gesässchmerzen“

Die Kunstschule Potsdam zeigt in ihren eigenen Räumen die Ausstellung „Tages-Spiegel“ und gibt viel Raum für Interpretationen

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Die Kunstschule Potsdam zeigt in ihren eigenen Räumen die Ausstellung „Tages-Spiegel“ und gibt viel Raum für Interpretationen Zerrissene Welten, Chaos, Terror, Krieg – Schlagwörter, die in drohend schwarzer Farbe an den Wänden des Kulturhauses Babelsberg den Zustand der Zeit benennen. Auf diese knappen Formeln reduziert Julia Schreckenbach ihre Auseinandersetzung zum Thema „Tages-Spiegel“, mit dem die Kunstschule Potsdam ihre jüngste Ausstellung überschrieben hat. Julia ist in der 12. Klasse und gehört zu dem von der Malerin Christa Panzner geleiteten Förderkurs für begabte Jugendliche der künstlerischen Kreativ-Werkstatt. In ihren übermalten Collagen aus zerschnittenen und wieder zusammengefügten Zeitungsseiten versuchte das Mädchen, ihre eigenen Ängste zu verarbeiten und nach außen zu bringen. Weniger vordergründig präsentiert sich in dieser vielschichtigen Schau die künstlerisch sehr reife Arbeit von Felix Wolf, die Raum für eigene Interpretationen lässt. Seine aus hellem einfarbigem Papier gefertigte Collage weist viele Verwerfungen und Verschiebungen auf, auch Löcher, die an Einschüsse erinnern. Vorsichtig bedient er sich grafischer Elemente, die eine Liste von Verstorbenen assoziieren, auch Pistolenläufe auf dem zweiten Blick wahrnehmen lassen. In dieser Reduktion spiegelt sich auch die eigene Fantasie. Durch ihre zurückhaltende und sehr ausgewogene Farbigkeit nimmt die Arbeit von Marie Hugler für sich ein. Auch sie arbeitet mit Worten, doch weniger um eine Signalwirkung bemüht, als grafische Akzente zu setzen. Das Wort „Tages-Spiegel“ lässt mannigfaltige Gedankenspiele zu, wie die sich durchs ganze Haus schlängelnde, sehenswerte Ausstellung zeigt. Der Kurs Malen und Zeichnen nahm sich beispielsweise der Neuruppiner Bilderbögen an. „Ich habe den Kindern nur die Bilder und Titel gezeigt, und sie sollten dazu eigene Geschichten erfinden“, erzählt Kursleiter Peter Bause. Der zehnjährige Ansgar vertiefte sich in die „Aufbahrung der Leiche des hochseligen Kaisers Friedrich“ und weiß zu berichten: „Es waren unendlich viele leute da um genau zu sagen 4 tausend leute aber natürlich nur des 1., 2., 3. ranges der 1. Minister hatte die macht übernomen manche sagen er hätte den prinz umgebracht aber die das meinen leben gar nicht mehr auf der Welt “ Zwar ohne Punkt und Komma – hoch lebe Pisa – dafür aber mit spitzfindigem Einfühlungsvermögen versuchte sich Angar, in die königliche Sphäre hinein zu versetzen. Auch neue Zeitungen wurden von den Kindern kreiert. Die „DBZ“ – Deutschlands beste Zeitung – verkündet: „Lehrer werden geschmissen“ und fordert im Namen der „Chefredakteurin“ Luise Wacker Zeugnisse für Lehrer. Die „Potsdamer Hatschi“– eine von der 12-jährigen Frauke Petzold herausgegebene „Medizinzeitung für Alt und Jung“ verkündet die frohe Botschaft, dass endlich ein Mittel gegen Aids gefunden sei. In ihrer Rubrik „Essentielle“ ist ferner zu lesen: „Seit Montagmorgen klakt Gerhard Schröder an starken Gesässchmerzen.“ Da sich die Kunstschule nicht als verlängerter Arm des Bildungswesens versteht, haben auch die orthografischen Fehler auf den Kunstwerken Bestand und werden nicht von den Lehrern ausgemerzt, nur weil die Öffentlichkeit ein Blick darauf wirft. Hier triumphiert allein die Kreativität. „Die Arbeiten zeigen aber auch, dass es durchaus Kinder und Jugendliche gibt, die die Zeitung lesen, sich mit politischen Themen auseinander setzen“, räumt Thea Moritz, die Leiterin der Kunstschule, ein. Gern führt sie durch die Ausstellung, freut sich, wie ihre Schützlinge Alltagsgegenstände wie Kleiderbügel oder Kaffeekannen zu ganz neuen überraschenden Zusammenhängen führen, wie sie es verstehen, in Ton ihre dekorativen Spuren zu hinterlassen, oder auch den Spiegel wortwörtlich nehmen, um die verschiedensten Techniken auszuprobieren. Die Erwachsenen haben wiederum als Comic ihren Tagesablauf gemalt und sich gefragt: „Wie sehe ich mich im Spiegel?“ Die Ausbeute des „Tages-Spiegels“ ist enorm. Kein Wunder, stapfen doch jede Woche 180 Freizeitkünstler die Treppen des Rathauses hinauf, um in den Räumen der Kunstschule ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. „Auch Klassen kommen gern zu uns: Hier fühlen sie sich oft weniger eingeengt als in der Schule und dürfen auch mal richtig aus sich herausgehen“, so Thea Moritz Dass derzeit mal wieder alle Kurse voll belegt sind und Wartelisten auf Später vertrösten, spricht für sich. „Wir könnten neue Kurse eröffnen, doch die Räumlichkeiten geben es nicht her. Außerdem wissen wir nicht, was aus dem Haus wird, wenn ein neuen Träger kommt. Wenn sich die AWO mit der Idee eines Schulhortes durchsetzt, ist das sicher nicht das richtige Konzept für ein Kulturhaus.“ Ein Thema für den nächsten „Tages-Spiegel“? Heidi Jäger

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