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Genaue Beobachterin. Janina Sasse hört den Leuten zu und macht aus ihren Geschichten Theater.

© Andreas Klaer

Kultur: Das Nichtgesagte

Hören auf das, was zwischen den Zeilen steht: Janina Sasse gibt im T-Werk einen Theaterworkshop

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Sie sucht nicht die große Bühne, nicht die Stücke berühmter Autoren. Janina Sasse schreibt ihre eigenen Texte, schaut zwischen die Worte. Die Theaterpädagogin und Schauspielerin lässt „Das Nichtgesagte“ reden. Zu diesem Thema veranstaltet sie am 20. April im T-Werk auch einen Workshop. Lehrer und andere Interessierte möchte sie in Improvisations- und Schreibübungen schulen, zwischen den Zeilen zu hören und die Sprache des Körpers zu beobachten. Denn oft spricht gerade das Nichtgesagte Bände, ist der Text nur die Spitze des Eisbergs.

Die 37-jährige Theaterfrau weiß, wie man vermeintlich zugeschlagene Türen öffnen kann. Ganz spielerisch. Sie geht in Schulen, gerade dorthin, wo es brennt. Und erlebt beispielsweise in Berlin-Kreuzberg, wie Türken, Araber und Deutsche zusammen konzentriert bei der Sache sind, um ihre eigenen Themen auf theaterspielerische Weise zu formulieren. „Die Lehrer, die während dieser freien Arbeit als Aufsichtspflicht dabei sind, zeigen sich oft skeptisch und geben sich mitunter recht autoritär. Und am Ende sagen sie verwundert: ,Der Achmed ist ja richtig mitgegangen. Sonst stört der immer nur’.“

Kinder aus der Außenperspektive sehen, das sei oft ein Schlüsselerlebnis, so die Erfahrung von Janina Sasse. „Manchmal kann man schon in zwei Schulstunden etwas hinterlassen, das hoffentlich weiterwächst.“ Doch was unterscheidet ein Alltagsgespräch von einem Bühnendialog? Genau um diese Frage geht es ihr in dem Workshop mit den Pädagogen.

Janina Sasse hat einschlägige Erfahrungen mit unterschiedlichsten Alters- und Problemgruppen. Seit Längerem verfolgt sie ein Projekt mit deutschen und polnischen Schülern, die gemeinsam Theater spielen und dabei ihre eigene Sprache sprechen. Sie verstehen trotzdem, was der andere sagt. Interkulturelle Verständigung heißt das im gehobenen Sprachgebrauch. Janina Sasse nennt es schlicht: „Das sich Einfühlen in die Welt des Anderen“.

Die Sprache war schon während ihrer Kindheit im Ruhrgebiet ein starkes Thema. Ihre Mutter kam mit zehn Jahren von Polen nach Deutschland und wurde oft als „Polackin“ beschimpft. Sie bemühte sich, sehr schnell Deutsch zu lernen. Polnisch wurde zu Hause nicht mehr gesprochen. „Ich habe mir inzwischen die Sprache wiedergeholt.“ Und nun führt Janina Sasse Menschen zusammen, die sich im normalen Leben wohl nie begegnet wären, wie eben die deutschen und polnischen Schüler. Oft sei da anfangs eine Angst vor dem Fremden. „Doch ist diese Barriere überwunden, kommt die Verwunderung: Es geht ja doch.“ Am Ende bleiben nur die ganz kleinen Andersheiten, wenn zum Beispiel die Jugendlichen in Tczew bei Feiertagen ganz freiwillig drei Stunden in die Kirche gehen.

„Ich arbeite mit dem Persönlichen, mit klaren Rollen, die zu dem jeweiligen Menschen passen.“ Und da ist die Sprache eben zweitrangig. Sie lässt überzeichnete Figuren spielen, stellt bestimmte Typen humorvoll heraus, von denen dann jeder meint, sie selbst zu kennen. Wie den Friseur an der Ecke mit seinem lockeren Mundwerk oder die neugierige Postfrau. „Es ist mir wichtig, dass es Typen sind, über die man gerne lacht und die auch sympathisch sind.“ Überzeichnen ja, aber keine Karikaturen schaffen.

Die in Berlin lebende freie Theatermacherin sammelt Charaktere, egal ob sie U-Bahn fährt oder einkaufen geht. Sie ist eine wachsame Beobachterin, schaut ihren Mitmenschen tiefer ins Gesicht. Und sie reist mit ihrer mobilen Bühne „Theater Tasse“ umher. Janina Sasse macht nicht nur an Schulen und Freizeiteinrichtungen Halt. Auch in einer Berliner Drogentherapie mischt sie sich spielerisch ein, wenn Jugendliche aus zerrütteten Verhältnissen von der Straße zum Entzug kommen. „Eine sehr emotionale Situation, die darüber entscheidet, ob sie sich auf eine Langzeittherapie einlassen oder rückfällig werden.“ Auch hier hakt die sehr klar formulierende Frau mit ihrem Improvisationstheater nach. „Erst wehren die Jugendlichen oft ab, sagen: ,Oh, nee, Theater. Ich habe Kopfschmerzen’. Man muss sie ein bisschen schubsen. Doch dann nutzen sie es doch für sich, lassen ihre Emotionen raus und haben am Ende vielleicht eine ganze Stunde nicht an Drogen gedacht. Es ist wie eine Schmerzunterbrechung.“ Die kraftvolle hellhörige Frau zeigt, dass sie wirklich Interesse an den Jugendlichen hat, und diese ernten vielleicht mal ein Lachen, Applaus und werden nicht kritisiert.

Ihr theaterpädagogisches Angebot ist natürlich nicht nur eine große Erfolgsstory. „Es gibt auch junge Leute, die verharren in ihrer Blockade. Und wenn alle blockieren, dann sage ich energisch ,Stopp’ und fordere Gegenvorschläge ein. Ich konfrontiere sie mit dem, was da ist und gebe nicht die Entertainerin.“

Mit Erwachsenen zu spielen, sei schon wieder anders als mit Kindern, die mitfiebern, oder Jugendlichen, die zwar cool, aber trotzdem dabei sind. „Bei Erwachsenen ist oft eine Wand dazwischen, herrscht eine große Reserviertheit.“ Bei Kursen und sicher auch bei dem Workshop im T-Werk sei es jedoch etwas anderes. „Da gibt es ein Grundinteresse, sonst würden sich die Leute ja nicht anmelden.“ Der Theaterpädagogin geht es um die Begegnung vor Ort. Sie schaut genau hin, mit welchen Leuten sie arbeitet. Was sind ihre Geschichten und wie kriegt man die im Theater erzählt? Wer mehr über sich selber weiß, hört auch dem anderen aufmerksamer zu. Auch bei dem Nichtgesagten.

Workshop mit Janina Sasse, 20. April, T-Werk, Schiffbauergasse, 12 bis 18 Uhr, Teilnahme 20 Euro, weitere Informationen unter spieltheater-mobil.de

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