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Unterwegs von Beate M. Kicherer.

© promo/Galerie Bauscher

Von Almuth Andreae: Das pralle Leben

Die Galerie Bauscher widmet der Künstlerin Beate M. Kicherer eine Retrospektive

Stand:

Aufreizend, lässig, kokett. Niemand versteht sich so gut darauf zu stehen wie Prostituierte, Straßendirnen und leichte Mädchen. So jedenfalls sah es Beate M. Kicherer, die bis zuletzt als Malerin und Zeichnerin gern aus dem Vollen schöpfte. Die leicht bekleidete Damenwelt des Berliner Rotlichtmilieus füllte zahllose Skizzenblöcke der vor fünf Jahren aus dem Leben gerissenen Künstlerin. Die farbenfrohen Tuschzeichnungen, Aquarelle und Leinwände, die sie zurückließ, füllen nun wieder eine eigene Ausstellung.

„Memories“ hat Traudl Bauscher die Rückschau mit Szenen, Bildern und Zeichnungen auf die geschätzte Berliner Künstlerin überschrieben. Mit der Retrospektive löste die Galeristin ein Versprechen ein, das sie im September 2004 am Grab von Beate M. Kicherer gab. Die für die Gedächtnisausstellung ausgewählten Arbeiten konzentrieren sich auf das große Interesse und gleichzeitig auf die besondere Stärke der Künstlerin: die Darstellung der menschlichen Figur. Schnell wird sichtbar: hier geht es weniger um die virtuose Wiedergabe menschlicher Anatomie als darum, den Figuren Charakteristisches mit markanten Strichen abzutrotzen.

Beate M. Kicherer hatte es drauf, die Damen entlang der Berliner Kurfürstenstraße für ihre Sache zu gewinnen. Als verlässliche Schnittmenge erwies sich dabei insbesondere das Café Einstein. Hier verbrachte die Künstlerin viele Stunden am Cafétisch, beobachtete, skizzierte, zeichnete Blatt und Blatt vom schnelllebigen Beziehungskarussell. Gelegentlich gab sie ihren Modellen im „Einstein“ auch mal ein Frühstück aus, damit sie ihr auch mal ein bisschen länger saßen.

Neben den häufig im steilen Hochformat entstandenen Einzelporträts, die von „Anett“, „Babett“, „Clodette“ und all den anderen entstanden, skizzierte Beate M. Kicherer unermüdlich Szenen in Bars und Cafés: Hastig saust der Stift über das Papier, nimmt sich selten die Zeit für Details. Verstohlen getauschte Blicke im Wimpernschlag eines Augenblicks, knisternde Erotik, laszive Stimmung und die unterschwellige Bereitschaft zum Absprung: aus diesem delikaten Mix entsteht die Anziehungskraft der malerischen Zeichnungen.

Das künstlerische Werk von Beate M. Kicherer entstand in noch nicht einmal zwanzig Jahren. Dass es dazu kam, erscheint im Rückblick gleichzeitig wie eine glückliche Fügung und ein Befreiungsschlag. Als Künstlerin war Kicherer eine Spätberufene. Den entscheidenden Impuls zum beruflichen Richtungswechsel von der Stadt- und Regionalplanung zur Kunst setzte im Prinzip ihr einziger Sohn. Dem Drängen des Kindes, das die Geschichten der Mutter unbedingt gezeichnet haben wollte, gab Beate Kicherer nach. Was sie zeichnete und malte, war von Anfang an geprägt von anekdotenreicher Erzählfreudigkeit. In der 2002 getuschten Serie „Sommerstreifen“ laufen kleine Situationen und Begebenheiten szenisch vor dem Auge des Betrachters ab.

Mit 40 Jahren nahm die Autodidaktin bei den Malern Reinhard Stangl und Strawalde Unterricht. Bilder von Stangl sind begleitend zur Ausstellung im Souterrain der Galerie zu sehen. Sehr bald offenbarte sich bei seiner Schülerin ihr ausgesprochenes Zeichentalent. Gleichwohl verstand sie es mit der Farbe effektvoll umzugehen. Im Verhältnis zur stark bewegten zeichnerischen Linie und ausdrucksvoll gestaltenden Kontur spielt sie insgesamt jedoch eher eine unterstützende, Rolle. Andersherum verhält es sich in den Bildern, in denen Beate M. Kicherer Mohnblumen malte. Die intensive Leuchtkraft der Blüten bestimmt hier die gesamte Komposition.

Den stärksten Eindruck hinterlassen die Zeichnungen, in deren Handschrift die vitale Künstlerin weiterzuleben scheint. Im Eifer des Gefechts sprengte sie – bewusst oder unbewusst – schon mal das Format. Im Prozess des intensiven Schauens und situativen Erfassens, im Verdichten rasch aufeinanderfolgender Eindrücke drängte es die Figuren auf das Papier und weiter aufs Passepartout. Die fast triebhafte Wucht der Zeichnung folgte innerer Rastlosigkeit – bis am Ende kein Halten mehr war.

Ausstellung „Memories“ ist noch bis zum 7. November, mittwochs bis freitags, 12-18 Uhr und samstags 12-16 Uhr, in der Galerie Bauscher, Rosa-Luxemburg-Straße 40, geöffnet

Almuth Andreae

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