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Heidi Gröger auf dem Nachbau der achtsaitigen Gambe von Benoît Fleury mit goldenem Köpfchen, goldenem Saitenhalter und Steg und Zargen aus Ahorn und Babelsberger Nussbaumholz.

© Manfred Thomas

Kultur in Potsdam: Das Rätsel der achten Saite

Nach 250 Jahren erklingt sie zum ersten Mal wieder: Die goldene Gambe in einem Nachbau aus der Potsdamer Werkstatt Muthesius.

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Manches braucht Zeit. Manchmal sehr viel Zeit. Bei Tilman Muthesius und dem Rätsel um die achte Saite brauchte es über 25 Jahre. Und den kleinen, eher beiläufig erzählten aber so entscheidenden Hinweis durch die Musikerin Heidi Gröger.

Cité de la musique in der Avenue Jean Jaurès 221 – seit über 25 Jahren gehört der regelmäßige Besuch für den Potsdamer Instrumentenbauer Tilman Muthesius dazu, wenn er in Paris weilt. Entweder allein oder zusammen mit seinem Vater Ingo Muthesius, ebenfalls Instrumentenbauer und seit vielen Jahren schon in der französischen Hauptstadt lebend, schaut er im Pariser Musikinstrumentenmuseum vorbei. Jedes Mal sieht er sie wieder: Die achtsaitige Gambe von Benoît Fleury, gebaut um 1750. Und immer wieder stellte Tilman Muthesius sich die Frage, diskutierte mit seinem Vater darüber, was es wohl mit dieser geheimnisvollen achten Saite auf sich haben könnte, die dieses, und nur dieses Instrument besitzt.

„Keiner wusste es“, sagt Tilman Muthesius. Dieses Instrument, es galt als ein verrücktes, rätselhaftes Ding. Bis vor gut einem Jahr, als Tilman Muthesius beschloss, die achtsaitige Gambe von Benoît Fleury nachzubauen. Am morgigen Donnerstag wird sie im Klein Glienicker Kammermusiksaal zu hören sein. Zum ersten Mal nach 250 Jahren. Am Freitag in Berlin und in der kommenden Woche dann in Paris.

Sechs Saiten sind bei dem im 15. Jahrhundert entstandenen Streichinstrument Viola da Gamba, das auf den ersten Blick an ein Violoncello erinnert, die Standardausstattung. Im 17. Jahrhundert kam in Frankreich eine siebente Basssaite hinzu, die bis heute bei vielen Gambisten sehr geschätzt wird. Aber eine achte Saite?

„Wir haben immer wieder gerätselt“, sagt Tilman Muthesius und meint damit nicht nur seinen Vater und sich, sondern auch andere Instrumentenbauer, die sich auf historische Instrumente wie die Gambe spezialisiert haben. Vielleicht eine zusätzliche, noch tiefere Saite? Vielleicht aber wurde diese achte Saite so hoch wie die siebente gestimmt, also chörig wie bei einer Laute, so dass durch das gleichzeitige Spiel von zwei Saiten der Ton noch kräftiger wurde? Oder wurde diese achte Saite gar noch höher gestimmt? Diese Möglichkeit galt schon immer als die unwahrscheinlichste, denn niemand konnte glauben, dass die dünnste Saite so hoch gestimmt werden konnte, ohne dass sie reißt. Ausprobieren konnte es niemand, weil das Instrument von Benoît Fleury nicht spielbar ist. Und vermisst hat diese achte Saite all die Jahre auch niemand, da die Kompositionen für ein solches Instrument sich auf fünf Konzerte aus der Feder von Jean-Philippe Rameau beschränken. Konzerte, die von Gambisten immer wieder gern gespielt werden, die sich aber bei den entscheidenden Stellen über die Schwierigkeiten hinwegmogelten.

Was nicht schlimm sei, wie Heidi Gröger sagt, die am Donnerstag zusammen mit der Violinistin Lisa-Maria Landgraf und dem Cembalisten Patrick Ayrton die Achtsaitige erklingen lassen wird. Denn Rameau habe im Vortext zu seinen „pièces de clavecin en concert“ selbst geschrieben, dass der geneigte Spieler bestimmte Stellen weglassen könne. „Er wusste, wie schwer manches ist“, so Heidi Gröger. Wobei schwer nicht der richtige Ausdruck ist, sondern ohne die fehlende achte Saite schlicht unmöglich. Aber erst als Heidi Gröger mehr in einem Nebensatz Tilman Muthesius erzählte, dass sie für bestimmte Stücke von Rameau eine höher gestimmte Gambe als vorgesehen nutze, war das für ihn der entscheidende Hinweis. Also doch gegen alle Wahrscheinlichkeit eine höher gestimmte Saite?

Tilman Muthesius probierte zuerst an einem kostengünstigen Leihinstrument, machte dann einen Termin im Cité de la musique, um im museumseigenen Labor einen Nachmittag lang die achtsaitige Gambe von Benoît Fleury zu untersuchen und zu vermessen. Über Monate hinweg machte er sich in seiner Freizeit an den fast originalen Nachbau mit all den goldenen Verzierungen am Kopf und dem Halsansatz, am Steg und dem Saitenhalter. Im Januar dann die Probe aufs Exempel; und die achte und höchste Saite hielt.

Als Heidi Gröger die Achtsaitige, von ihr liebevoll die „Goldene“ genannt, in die Hände nahm, war da auch etwas Angst vor dieser neuen Situation. Aber schnell hatte sie sich auf das Instrument eingestellt, konnte sie die Kompositionen von Rameau, die als unspielbar galten – Doppelgriffe, schnelle Lagenwechsel – endlich spielen. „Und nicht allein das, auch dieser wunderschöne Ton, all diese liebevollen Details“, sagt sie. Es sei für sie eine Form von Luxus auf diesem Instrument zu spielen. „Kaum ein Musiker könnte es sich leisten, sich für ein paar Rameau-Stücke eine solche Gambe bauen zu lassen.“ Für Tilman Muthesius ging es in erster Linie um die Lösung des Rätsels der achten Saite. Er hat dieses Instrument, das einen interessierten Käufer einen fünfstelligen Betrag kosten würde, aus rein musikwissenschaftlichem Interesse gebaut. Ein Instrument, das neben dem Original von Fleury wohl einmalig auf der Welt sein dürfte.

Dass es neben dem Konzert im hauseigenen Kammermusiksaal ein weiteres in Berlin und in Paris geben wird, wo der bekannte Gambist Christophe Coin auf der Achtsaitigen debütieren wird, zeigt Muthesius, dass er da nicht einfach nur den eigenen Verrücktheiten nachgegangen ist. Den nächsten Schritt hat er auch schon geplant: Endlich eine Einspielung der „pièces de clavecin en concert“ ohne Mogeleien wegen einer fehlenden Saite. Das Interesse der Plattenfirmen sei da, so Tilman Muthesius.

Trio Fleury am morgigen Donnerstag, 20 Uhr, im Kammermusiksaal, Waldmüllerstraße 3. Eintritt 25, ermäßigt 15 Euro. Karten unter Tel.: (0331) 748 14 96. Am Freitag, dem 7. Oktober, um 20 Uhr im Berliner Institut français, Kurfürstendamm 211

Dirk Becker

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