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Bettina Jahnke, Intendantin des Hans Otto Theaters.

© Ottmar Winter

Interview | Kultur in Potsdam: „Das Schönste war zu sehen, dass mit Solidarität etwas geht“

Vor zwei Jahren gründeten Kulturschaffende das Netzwerk KulturMachtPotsdam. Bettina Jahnke, Alexander Hollensteiner und Reiko Käske ziehen Bilanz.

Frau Jahnke, Herr Käske, Herr Hollensteiner, zwei Jahre Corona bedeutet auch: zwei Jahre KulturMachtPotsdam. Was ist das Beste, Überraschendste, das das Netzwerk bis jetzt hervorgebracht hat?
JAHNKE: Da fällt mir sofort unsere Aktion zum 13. März 2021 ein – ich frage mich im Nachhinein immer wieder, wie wir das geschafft haben. Was wir für eine Power hatten!

Sie sprechen von dem digitalen Aktionstag am ersten Jahrestag des Lockdowns.
KÄSKE: Was ich für Leute kennengelernt habe in den letzten zwei Jahren! Das hat mich darin bestärkt, diese Stadt noch mehr als Kulturstadt zu sehen als je zuvor. Es hat mir noch einmal gezeigt, dass wir hier eine unheimlich diverse, vielfältige Kultur haben.

JAHNKE: Wir kamen alle aus dem Lockdown, wir kannten uns nicht, wussten nicht, wie Zoom geht. Es war eine Aktion, die über Schwarmintelligenz funktioniert hat – mit unglaublicher Reichweite. Das war ganz toll. Das Schönste war zu sehen, dass mit Solidarität etwas geht, auch wenn man mit dem Arsch an der Wand steht.

Beim Aktionstag 2021 waren 150 Akteure dabei. Wie viele sind es heute?
HOLLENSTEINER: Man kann sagen: Alle wesentlichen Kulturakteure sind dabei. Das lässt sich aber schwer beziffern. Ich spreche zum Beispiel für 35 Musiker:innen – bin ich einer oder 35? Auch durch die Schwarmfunktionalität ist es je nach Anlass anders. In den drei AGs, die wir haben, sind es mal fünf, mal 15 Leute. Die Vereinbarung ist: Wer da ist, ist KulturMachtPotsdam.

Alexander Hollensteiner, Geschäftsführer Kammerakademie.
Alexander Hollensteiner, Geschäftsführer Kammerakademie.

© Andreas Klaer

Am Sonntag gibt es wieder eine Aktion. Diesmal wird getrommelt. Wofür genau?
KÄSKE: Wir wollen den kulturellen Herzschlag der Stadt sichtbar machen. Jeder kann mitmachen. Der Rhythmus soll etwas auslösen, nämlich: Die Kultur ist da. Die Kultur möchte wieder mehr Teil dieser Stadt sein. Denn man fährt im Moment schon noch mit angezogener Handbremse. Zum einen, weil noch nicht alles wieder so umsetzbar ist, wie wir das vielleicht möchten. Zum anderen, weil das Publikum noch unsicher ist: Kann man jetzt wieder? Durch den neuen Krieg in der Ukraine wird die Handbremse nicht gerade gelöst, im Gegenteil.

Reiko Käske, Betriebsleiter des Lindenparks.
Reiko Käske, Betriebsleiter des Lindenparks.

© Andreas Klaer

Was ist zwei Jahre nach Beginn der Pandemie die größte Herausforderung für Sie?
KÄSKE: Wir haben Konzerte teilweise fünf- oder sechsmal verschieben müssen. Im Februar fiel alles, was wir geplant hatten, aus. Die meisten Künstler kommen nicht gezielt in den Lindenpark, sondern als Teil einer Tour. Viele haben von Vorneherein abgesagt. Jetzt versuchen wir, kleinere Formate auf die Beine zu stellen. Das ist für uns tatsächlich ein Problem. Die meisten Zuschauer planen ja mit etwas Vorlauf. Jetzt wir versuchen wir, diesen Anlauf wieder hinzubekommen.

JAHNKE: Planbarkeit ist das wichtigste Stichwort. Wir haben vieles ausfallen lassen müssen, hatten mehrfach sieben Tage oder zehn Tage Quarantäne. Das betraf alle Abteilungen. Es ging teils darum, ob die Kostüme überhaupt fertig werden, weil die Werkstätten völlig ausgedünnt waren. Wir standen mehrmals kurz vor der Schließung, weil Arbeitskräfte fehlten. Jetzt kommen wir wieder in ruhigere Fahrwasser, aber die neuen Regelungen greifen erst ab April, weil der Vorverkauf für März längst durch ist. Was uns als Problem alle eint: die Rückgewinnung des Publikums. Vertrauen wiederherstellen.

HOLLENSTEINER: Wir müssten uns eigentlich fragen: Wie ist das morgen mit dem Publikum, übermorgen mit der Digitalisierung, überübermorgen mit der Nachhaltigkeit? Aber wenn ich auf das Orchester jetzt mit strategischen Themen zukomme, da ist die Bereitschaft nach anderthalb Jahren Ausnahmezustand und den erheblichen Herausforderungen des Alltags nachvollziehbarerweise nicht so groß. Und das Publikum zurückzuholen, ist auch ein großes Thema. Ich bin der Meinung, dass Marketing irgendwann nicht mehr hilft, sondern man einfach die Zeit für sich arbeiten lassen muss. Ich glaube, das wird sehr viel länger dauern als nur bis Herbst dieses Jahres.

Programmieren Sie nach zwei Jahren mit Corona anders? Wirtschaftlicher?
KÄSKE: Wir sind darauf angewiesen, einen eigenen Anteil zu erwirtschaften. Da sind die Zwänge ganz deutlich. Ich habe die ersten zwei Monate des Jahres komplett verloren – auf der anderen Seite weiß ich: Ich bezahle über 10 000 Euro mehr für Strom in diesem Jahr. Die Kosten steigen und die Einnahmen sind längst nicht da, wo sie sein müssten. Ich muss 2022 also schon gucken, dass es ein paar Termine gibt, die gut beim Publikum funktionieren.

JAHNKE: „Das“ Publikum gibt es ja nicht. Ich halte gar nichts davon, dem Publikum hinterherzurennen. Was mir wichtiger scheint: zielgruppengenaue Ansprache. In die Stadt gehen, sich Kooperationspartner suchen, direkter Austausch. Wir sind dazu da, Themen zu setzen.

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Vor einem Jahr hat KulturMachtPotsdam eine Liste mit kulturpolitischen Forderungen formuliert. Wo wurden Sie gehört?
HOLLENSTEINER: Wir haben nicht nur Forderungen formuliert, sondern die Themen auch in Veranstaltungen überführt. Das Ergebnis des ersten Kulturpolitischen Forums im Juni mit dem Schwerpunkt Verwaltung war eine Schnittstelle, die Ansprechpartner für Verwaltung und Kulturschaffende ist. Das haben wir „Kulturlotsen“ genannt – und dazu haben wir ein Konzept erarbeitet. Damit gehen wir jetzt auf die Verwaltung zu. Ein weiteres Ergebnis war ein klares Versprechen des Baudezernenten, bei der Entwicklung des Nordens die Kultur mitzudenken.

KÄSKE: In den Kulturpolitischen Leitlinien der Stadt, die gerade über einen Beteiligungsprozess gestartet wurden, sehe ich ganz viel von unseren Forderungen. Ohne uns sähe die Suche nach den Leitlinien ganz anders aus. Und: Ich habe nirgendwo gehört, dass es große Einschnitte in der Kultur gegeben hätte. Im Gegenteil. Es gab die Zusage, dass es dieselbe Projektförderung wie im letzten Jahr gibt. Und es gibt eine Festivalförderung. Das macht Mut. Gerade, wenn wir bedenken, dass wir vor einem Jahr alle dachten, wir müssten uns auf einen großen Verteilungskampf einstellen.

Anja Engel sagte Ende 2020: „Das dicke Ende kommt erst noch. Die Krise geht jetzt erst los.“ Gilt der Satz noch immer?
HOLLENSTEINER: Wir haben auf jeden Fall gelernt, dass die Krise länger dauern kann, als wir es gedacht haben. Ich bin ein positiver Mensch - aber eine vernunftorientierte Vorsicht kann nicht schaden. Das Wichtigste ist, dass Politik und Kultur weiter zusammenstehen.

JAHNKE: Das dicke Ende kommt noch, auf jeden Fall. Und der Ukraine-Krieg wird uns auch auf eine Weise beeinflussen, die wir noch gar nicht auf dem Schirm haben. Ich gucke da etwas pessimistisch in die Zukunft. Wir müssen wieder mit der Kunst, mit dem, was wir tun, Zeichen setzen – und uns nicht das Wasser abgraben lassen. Ich mochte die Naivität im letzten Sommer. Was waren wir kraftvoll und mutig! Diesen Optimismus habe ich nicht mehr.

KÄSKE: Es liegt nicht in der Natur von Kunst und Kultur, sich von prekären Verhältnissen bremsen zu lassen. Wie werden die Verhältnisse nach 2023 aussehen? Wer weiß das heute schon. Es ist in jedem Fall ein großer Vorteil, in einem großen Netzwerk rechtzeitig die Indikatoren zu sehen. Der Dialog mit Verwaltung und Politik ist da ganz entscheidend. Politik hat immer Spielräume – und dass die künftig auch für Kultur genutzt werden, darauf wollen wir achten.

Das Gespräch führte Lena Schneider

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