Kultur: „Das sind doch bloß Töppe“
Ab 22. Juni ist im Kutschstall die große Hedwig-Bollhagen-Retrospektive zu sehen
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Noch stehen sie dichtgedrängt in den Regalen des Depots im Kutschstall und bekommen von versierter Restauratorenhand den letzten Schliff. Derweil zimmern Handwerker am Ausstellungsinterieur, das die Gefäße mit Blaupunkt-, Kartoffelkäfer- oder Bienchendekor trefflich in Szene setzen will.
Eine Woche vor Eröffnung der großen Hedwig Bollhagen-Ausstellung ist das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte ganz im Keramik-Fieber. Das legendäre „HB“ gilt es anlässlich des 100. Geburtstages der 2001 verstorbenen Künstlerin in seiner wechselvollen Geschichte einzufangen und auch die ungekrönte Königin des schlichten und zeitlosen Gebrauchsgeschirrs in ihrer faszinierenden Persönlichkeit greifbar zu machen. Und da werden auch Geschichten erzählt, die diese couragierte Unternehmerin niemals zu ihren Lebzeiten preisgegeben hätte. Wie ihre Verlobung – die sie löste, weil sie der Arbeit und ihren künstlerischen Ambitionen den Vorrang gab. Ihre Familie fand sie in der Belegschaft ihrer Marwitzer „Bude“, die zeitweise auf 100 Mitarbeiter anwuchs, und die ihr dennoch bis zu den kleinsten persönlichen Sorgen vertraut blieb. „Auch der beste Dirigent kann ohne ein gutes Orchester nichts ausrichten“, war eines der prägnanten Zitate, für die HB bekannt war.
Kuratorin Gudrun Gorka-Reimus sprach mit ehemaligen Mitstreitern Hedwig Bollhagens, die zum Teil von der Lehre bis zur Rente der „Powerfrau“ zur Seite standen. Aber auch das Wort „Powerfrau“ wäre wohl nie über die Lippen von Hedwig Bollhagen gekommen, ist sich die Kuratorin sicher. „Sie lehnte Modewörter ab. Aber eine Retrospektive ist immer eine Gratwanderung: Man will der Künstlerin nicht Unrecht tun, andererseits werden Künstler auch von außen interpretiert und beurteilt.“ In der Kunsthistorikerin Gudrun Gorka–Reimus hat die Prinzipalin indes eine achtsame Bewunderin gefunden, die die Meisterin zwar nicht persönlich kennengelernt hat, dafür aber gern bei ihr einkaufte. Und für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die den Nachlass verwaltet, ordnete sie 1200 der HB-Schöpfungen und vermaß sie akribisch mit dem Zollstock.
In der Kutschstall-Ausstellung – der große Vorläufer für die kleinere Dauerschau im Güldenen Arm, die 2008 eröffnet wird – werden sich 700 Exponate wieder finden. Es gibt aber auch Werke von Künstlerfreunden wie Charles Crodel, Werner Burri oder von Heidi Manthey – die die künstlerische Nachfolge von HB in Marwitz antrat – zu sehen.
So wie Hedwig Bollhagen Betrieb und Arbeit immer eng verknüpfte, will auch die Ausstellung beides zusammen führen. Der untere große Raum steht ganz im Zeichen ihres Werkes. Erstmals wird er sich ohne Verdunkelung zeigen, denn Keramik braucht das rechte Licht. In einem Pavillon werden die klassischen Dekore, die man gemeinhin von ihr kennt, gezeigt. „In sieben Vitrinen sind aber auch Schalen, Dosen und Vasen zu sehen, die viele nicht mit ihr in Verbindung bringen würden: Einzel- und Musterstücke, mit Ritzeltechnik oder aufwändigen Lasuren, die sie teils direkt für Sammler produzierte.“
Während unten das Werk spricht, soll oben der Mensch dahinter näher rücken. „Wir versuchen, etwas von dem rustikalen Charakter der ,Bude“ in Marwitz reinzunehmen und virtuell den Gang von ihrem Wohnhaus zur Werkstatt einzufangen.“ Auch ganz persönliche Dinge aus ihrem häuslichen Bereich fließen ein, wie der Fliesentisch von Crodel, der 40 Jahre in ihrem Wohnzimmer stand. Oder ein Nachruf in Gedichtform von dem Multikünstler Robert Wilson, der, wie auch Helene Weigel, mit ihr befreundet war.
Chronologisch werden die verschiedenen Etappen ihres Lebens nachgezeichnet: ihr großbürgerliches Elternhaus, das ihr eine klare Geschmacksbildung vermittelte und sie den Gründerzeit-Kitsch auf den Tischen der Tanten erkennen ließ. Dann die Keramik-Lehre und schließlich, gerade mal 19 Jahre alt, den Job als Leiterin der Malabteilung in der Steingutfabrik Velten: Für sie ein Versuchsfeld an der Seite kreativer, bauhausorientierter Köpfe, das ihre Phantasie kräftig sprudeln ließ. Als 1931 durch die Weltwirtschaftskrise das Werk schließen musste, begannen für sie die Wanderjahre, die sie auch in die Keramikwerkstatt ihres ehemaligen Mitschülers und schließlich Verlobten Willi Kargel nach Partenkirchen führten. Hier konnte sie auch einer anderen Leidenschaft, dem Skifahren, frönen. Nach etwa einem Jahr sagte sie der Liebe adé und gründete alsbald ihre eigene Werkstatt in Marwitz. „In der Keramik liegen ja so viele Freudenquellen, aus denen man Kraft schöpfen kann, und spannende Augenblicke voller Erwartung ..., dass man niemals gelangweilt sein kann und für seinen Einsatz entschädigt wird,“ schrieb sie über sich. Ihr Schifflein durch die Zeiten zu manövrieren, erwies sich oft als schwierig. Doch sie gab nie auf: nicht in der NS-Zeit und den schweren Nachkriegsjahren und auch nicht in der DDR, wo sie sich lange gegen die Verstaatlichung wehrte. „Ihre Rettung war, dass sie dem Kunsthandel zugeordnet wurde,“ so die Kuratorin. Nach der Wende bezeichnete sie sich selbst witzelnd als „Jungunternehmerin“, die auch dem freien Markt die Stirn bot. „Ihr mittelständischer Betrieb verdeutlicht exemplarisch Zeitgeschichte.“
Wie viele Dekore sie in ihrem langen, erfüllten Leben entwarf, ist unbekannt. Niemand hat es aufgeschrieben. Und immer wieder sorgen Funde im Ebay mit neuen Formen und Variationen ihrer geometrischen oder floralen Muster für eine Überraschung. Hedwig Bollhagen würde wohl nur sagen: „Das sind doch bloß Töppe.“
Zu sehen ab 22. Juni im Kutschstall
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