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Kultur: „Das Spielerische darf nicht verloren gehen“

Konzertmeister Peter Rainer über das richtige Instrument fürs Kind und den Ehrgeiz der Eltern.

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Herr Rainer, Sie sind Konzertmeister bei der Kammerakademie Potsdam. Wie sind Sie zur Geige gekommen?

Ich hab erstmal mit der Blockflöte angefangen, da war ich sechs Jahre alt. Mein älterer Bruder hat auch Flöte gespielt, mit acht Jahren habe ich dann mit der Geige angefangen. Ich bin der jüngste von drei Brüdern, der älteste hat Klavier gespielt.

Sie sind also in einer musikalischen Familie groß geworden?

Ja, mit der Einschränkung, dass meine Eltern beide kein Instrument spielen, da sie in der Kriegs- und Nachkriegszeit groß geworden sind. Aber meine Oma war Pianistin und hat am Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien Musik studiert, was zu der Zeit für eine Frau besonders war.

Wie findet man als Eltern das geeignete Instrument für sein Kind – oder sollte das Kind das lieber selbst finden?

Am meisten Erfolg verheißend ist es tatsächlich, wenn das Kind mit den eigenen Sinnen, insbesondere mit den eigenen Ohren, dieses Instrument findet und sich dafür begeistern lässt. Es ist schon Glückssache, wenn es das dann über Jahre spielen will. Dann kommen natürlich auch noch andere Kriterien dazu. Manche Kinder lernen Geige und wachsen im Jugendalter so enorm, dass sie dann körperliche Voraussetzungen haben, die besser zu der Bratsche passen.

Es hat mit der Größe zu tun, ob jemand Geige, Bratsche oder Cello spielt?

Ja, natürlich. Die Instrumentenwahl hat auch viel mit physiologischen Voraussetzungen zu tun. Wenn jemand sehr schlanke Finger hat, mit sehr wenig Fleisch an den Fingerkuppen, dann sollte er eher nicht Cello oder Kontrabass lernen. Genauso bei den Bläsern, hier hängt viel von der Lippenspannung ab und der Muskelspannung im Gesicht. Aber das Erstaunliche ist, dass, wenn ein Kind für eine Sache brennt und somit ein starker Wille da ist, sich auch ein Weg auftut, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Es gibt ja auch Pianisten mit sehr kleinen Händen, die unglaublich toll spielen können.

Was können Eltern letztlich tun, um ihre Kinder bei der Instrumentenauswahl zu unterstützen?

Als Eltern sollte man einfach gut hinhören und schauen, was die Möglichkeiten sind. Die Musikschulen bieten zum Beispiel Instrumentenkarusselle an, bei denen man alle klassischen Instrumente kennenlernen kann. Letztlich ist es für viele Eltern auch eine finanzielle Frage. Da gibt es Riesenunterschiede bei den Instrumenten. Ein Streichinstrument wird irgendwann, wenn es ernst wird, sehr, sehr teuer. Dagegen sind die Kosten für ein Blasinstrument immer überschaubar, es gibt da eine klare finanzielle Grenze.

Nun ist die Begeisterung für ein Instrument die eine Sache, eine andere ist, sich mit dem Instrument zu beschäftigen, zu üben. Wie bringt man denn als Eltern sein Kind dazu, dranzubleiben am Spielen?

Bei kleinen Kindern ist es wichtig, dass das Spielerische nicht verloren geht. Der Fokus muss beim Üben in sehr kleinen Zeitintervallen geändert werden und die Balance zwischen „üben sollen“ und „üben wollen“ gilt es zu finden. Das ist gerade für Eltern ein Spagat. Andererseits: Wenn keine Regelmäßigkeit im Üben, im Beschäftigen mit dem Instrument da ist, dann macht es eigentlich keinen Sinn. Eltern müssen da ihren eigenen Weg finden, Kinder sind sehr verschieden. Manche brauchen ein bisschen mehr Überredung, andere ganz andere Anreize.

Ohne Druck gehts Ihrer Meinung nach nicht?

In gewissen Phasen müssen die Eltern oder die Lehrer mit Druck beziehungsweise mit Überredungskunst arbeiten. Sonst gehts nicht. Sehr lange darf so eine Phase aber nicht anhalten. Dann ist es vielleicht das falsche Instrument.

Gibt es eigentlich Empfehlungen, wie lange die Kinder üben sollten?

Ich kann das ganz schwer sagen: Ich habe mit acht Jahren angefangen, das ist schon relativ spät für Geige und ich habe immer gerne selbst ohne Anleitung geübt. Es ist eine Frage der Konzentration und der Persönlichkeit des Kindes. Für manche stellt sich ein Fortschritt in wenigen Minuten ein, andere wiederum träumen sich beim Üben durch den Tag. Beides kann aber zum Ziel führen.

Sie unterrichten an der Universität der Künste in Berlin auch Begabtenkinder. Spüren Sie da manchmal den Ehrgeiz der Eltern?

Impulse aus dem Umfeld des Kindes übertragen sich direkt auf das Spiel mit dem Instrument. Nicht immer, aber doch ziemlich häufig sieht und hört man den Kindern an, wenn zu viel negativer Druck ausgeübt wird. Man darf nicht vergessen, dass sich meist die Kinder, welche ein so schwieriges Hobby wie das Spielen eines Instrumentes gewählt haben, selbst unter Erfolgsdruck setzen, da man ja das Publikum auch begeistern will. Im Januar war ich bei den Aufnahmeprüfungen der Universität der Künste in Berlin und man konnte den Druck, der auf manchen Bewerbern lastet, geradezu spüren. Das schlägt sich dann nieder im Spielen. Man sieht es, ob den Kindern das Spielen in den letzten Jahren Spaß gemacht hat oder ob viel durch Druck von Außen ausgeübt wurde. Da ist dann oft eine musikalische Eigenständigkeit in dem Alter noch nicht erreicht. Die Kinder wirken wie gefangen. Es ist dann toll zu sehen, dass es auch immer wieder Kinder gibt, die in ihrer natürlichen Musikalität so gefördert und bestärkt wurden, dass sie schon in jungen Jahren mit ihrer Musik Freude verschenken.

Eine wichtige Rolle spielen ja nicht nur die Eltern, sondern auch der Lehrer. Haben Sie gute Erinnerungen an Ihre Lehrer?

Ich habe nur gute Erinnerungen an meine Lehrer (lacht) – und das ist schon mal ein gutes Zeichen. Meine erste Lehrerin hatte genau dieses Spielerische. Ich war erst bei ihr an der Musikschule in Kitzingen, dann bei ihr zu Hause. Sie hatte selbst kleine Kinder und ich erinnere mich, dass ich immer absolut begeistert war von dem Spielzeug ihrer Kinder. Stellenweise saß ich da im Unterricht auf dem Schaukelpferd oder habe sonst was gemacht. Sie hat das sehr, sehr locker gesehen, total ohne Druck. Und sie hatte ein gutes Auge, wann der nächste Lehrer kommen muss. Später hatte ich dann einen Lehrer, einen Professor an der Musikhochschule in Würzburg, der, wie man es sich vorstellt, das Geigen erforscht hat. Mein Vater saß manchmal bis zu drei Stunden im Auto draußen und hat (zum Glück) gewartet, während ich Unterricht hatte und mit meinem Lehrer und einer Briefwaage erforscht habe, wie sich der Bogendruck auf den Saiten verändert.

Faszination vermitteln – ist es das, was Ihrer Meinung nach einen guten Lehrer ausmacht?

Ja, ein bisschen ist das so. Später, wenn man studiert, ist es weniger wichtig, dass man den absolut tollen Lehrer hat, sondern dass man ein super Umfeld hat und sich gut vernetzt, in Ensembles mitspielt. Aber letztlich ist es die Faszination, die sich authentisch vom Lehrer auf den Schüler übertragen muss. Es muss um die Sache gehen, um die Musik, in meinem Fall um die Geige. Das klappt auch nicht mit jedem Kind. Wenn man die gemeinsame Wellenlänge mit einem Schüler nicht hat, dann ist es auch gut, wenn man den Schüler an jemanden anderen abgibt. Man kann sich nicht in jede Psychologie hineinarbeiten.

Wie sollten die Eltern den Unterricht begleiten?

Die Hauptaufgabe der Eltern ist eine Art begleitende Kontrolle. Denn was bleibt von einer Unterrichtsstunde? Am nächsten Tag geht das Kind wieder in die Schule, trifft Freunde... Da ist es toll, wenn die Eltern das Lernen eines Instrumentes begleiten, in Kontakt mit dem Lehrer stehen. Das braucht viel Zeit, und die haben heutzutage die Wenigsten. Ich habe ohne diese Kontrolle Geige gelernt und habe erst später beim eigenen Unterrichten und im Gespräch mit anderen Musikern herausgefunden, dass es eher die Ausnahme ist, wenn ein Kind alleine übt. Sollte das aber der Fall sein, so ist das ein gutes Zeichen.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

Peter Rainer, 45, studierte Violine am Konservatorium in Würzburg. Er ist Konzertmeister der Kammerakademie Potsdam und unterrichtet an der Universität der Künste in Berlin.

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