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Kultur: Das Staunen hält noch immer an Fahmi Alqhai im Foyer des Nikolaisaals
Der Blick in das Programmheft versprach Spannung erst zum Schluss. Oh, wie man sich doch täuschen kann!
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Der Blick in das Programmheft versprach Spannung erst zum Schluss. Oh, wie man sich doch täuschen kann!
Mit Tobias Hume und Marin Marais, Antoine Forqueray und Carl Friedrich Abel standen die üblichen Verdächtigen auf dem Programm des Spaniers Fahmi Alqhai bei seinem sonntagnachmittäglichen Auftritt unter dem Titel „Die entfesselte Gambe“ im Foyer des Nikolaisaals. Alqhai, geboren in Sevilla, Vater aus Syrien, Mutter aus Palästina, „gilt als einer der brillantesten und talentiertesten Interpreten seiner Generation“, wie im Programmheft weiter zu lesen war. Nur dass der 35-jährige Fahmi Alqhai, Gründer des Ensembles Accademia del Piacere, in der Alte-Musik-Szene noch recht unbekannt ist und was das Solospiel auf der Bassgambe betrifft, hier noch immer die Vorherrschaft in den Händen von Jordi Savall und Paolo Pandolfo, von Hille Perl und Lorenz Duftschmid, von Wieland Kuijken und Philippe Pierlot zu liegen scheint. Bis man das Glück hatte, Alqhai zu erleben.
Mit Tobias Hume eröffnete Fahmi Alqhai sein Konzert in Potsdam. Mit dem gambespielenden Soldaten Hume, Zeitgenosse und Widersacher des bekannte Lautenisten John Dowland. Ein wilder Geselle und Hallodri, zumindest was die wenigen Überlieferungen aus seinem Leben betrifft. Vor allem aber ein herausragender Komponist. Und wenn man wenig über das Leben eines Komponisten weiß, dessen musikalische Arbeit einen aber immer wieder fasziniert, versucht man ihm über seine Musik näher zu kommen. Und da war das erste Staunen über Alqhais Spiel. Selbstverständlich und raumgreifend sein Bogenstrich, sehnig und muskulös der Ton seiner Gambe, einer Kopie eines Amati-Modells aus den 1620er Jahren. Aber es war vor allem das Selbstverständnis, mit dem sich Alqhai der Musik von Hume annahm, die hier überzeugte und begeisterte. Gelegentlich recht eigenwillig seine Interpretationen, aber in der Dramaturgie immer überzeugend, war sein Spiel vom genussvollen Wechsel rasanter, so leichtfingriger Läufe und langgezogener Tonschwelgereien geprägt. Aber immer mit einem solchen Maß an Verinnerlichung, dass man hier nicht nur das schon so oft Gehörte wie etwas Neues erlebte, sondern in den besten und tiefsten Momenten selbst auf einmal ein so klares und vielschichtiges und selbstverständliches Bild des Komponisten und Menschen Tobias Hume vor Augen zu haben glaubte. Selbst Marais’ mittlerweile längst überstrapaziertes „Les voix humaines“ wurde unter den Händen von Fahmi Alqhai zu einer kleinen Neuentdeckung. Auch wenn mancher Purist den häufigen Vibratogebrauch beklagen möchte.
Nach der Pause dann Antoine Forqueray, der große Gegenspieler von Marais am französischen Hof. Ein Wildvirtuose, der ob seiner Fähigkeiten auf der Gambe auch gern mit dem Teufel verglichen wurde. Dieser Forqueray lag Alqhai dann weit mehr als Marais. Das Virtuos-Hochakrobatische wurde hier zu himmlischer Musik und Fahmi Alqhais Spiel wirkte dabei so leicht und fast schon organisch, als wären Gambe und Bogen nicht Instrumente, sondern gehörten zum Körper dieses Musikers. Straff sein Ton, auftrumpfend und rebellisch. Hier spielte einer, für den der größte Respekt vor einer Komposition darin besteht, sich diese regelrecht einzuverleiben und dann als etwas Neues, im gewissen Sinne dann auch als etwas Eigenes zu spielen. Und als ob das nicht schon genug des Guten gewesen wäre, spielte Alqhai zum Abschluss zwei moderne Stücke auf seiner Gambe, darunter „Purple Haze“ von Jimi Hendrix. In diesen wunderbar-verrückten Momenten gelang ihm etwas, dass man so bisher noch bei keinem Musiker erlebt hatte. Fahmi Alqhai holte die so ferne Zeit eines Tobias Hume, eines Marin Marais und Antoine Forqueray ins Jetzt und gab eine Ahnung davon, wie diese Virtuosen zu ihrer Zeit Einflüsse aufnahmen und ihre Musik, ihre Kunstwerke schufen. Das Staunen darüber hält noch immer an. Dirk Becker
Dirk Becker
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