Kultur: Das trostlose Leben in den Kolonien Doris Lessing im Literaturgespräch
Doris Lessing mag beim ersten Hören einen deutsch klingenden Namen haben – aber das täuscht: Die britische Schriftstellerin war eine Kosmopolitin, geboren 1919 im Iran als Tochter einer Krankenschwester und eines britischen Bankangestellten. Am heutigen Donnerstag wird ihr 1950 erschienener Roman „Afrikanische Tragödie“ – der im Original den griffigeren Titel „The Grass is Singing“ trägt – Thema der Reihe „Literatur im Gespräch“ im Bildungsforum sein.
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Doris Lessing mag beim ersten Hören einen deutsch klingenden Namen haben – aber das täuscht: Die britische Schriftstellerin war eine Kosmopolitin, geboren 1919 im Iran als Tochter einer Krankenschwester und eines britischen Bankangestellten. Am heutigen Donnerstag wird ihr 1950 erschienener Roman „Afrikanische Tragödie“ – der im Original den griffigeren Titel „The Grass is Singing“ trägt – Thema der Reihe „Literatur im Gespräch“ im Bildungsforum sein.
Die „Afrikanische Tragödie“ ist Doris Lessings erster Roman – und autobiografisch geprägt. Im Alter von sechs Jahren zog sie, die damals noch Doris May Tayler hieß, mit ihrer Familie in die britische Kolonie Südrhodesien, ein Staat, der erst 1980 unabhängig wurde und heute Simbabwe heißt. Doris Lessing erlebte dort genau das Gegenteil des Traumes, den ihre Mutter sich erhoffte: Statt eines großbürgerlichen Daseins gab es für sie eine schwierige und unglückliche Kindheit, die sich in ihren Texten reflektiert. 1945, noch in Afrika, heiratete sie den deutschen Kommunisten Gottfried Lessing, der im Exil lebte – und dessen Schwester die Mutter von Gregor Gysi wurde. Vier Jahre hielt die Ehe mit Lessing, bis sie ihn verließ und zwei ihrer drei Kinder in Afrika zurückließ. Da hatte sie ihr Manuskript von „Afrikanische Tragödie“ schon in der Tasche: eine mitfühlende Abrechnung mit dem inhaltsleeren Dasein der britischen Siedler, die aber genauso das trostlose Leben der Einheimischen thematisiert. Es geht um eine arme Farmersfrau, die sich in einen schwarzen Bediensteten verliebt: eine skandalöse Geschichte. Und 1950, direkt nach ihrer Übersiedlung von Südrhodesien ins britische London, natürlich etwas Aufregendes – und die erste Folge war ein zeitweiliges Einreiseverbot in den Apartheid-Staat Südafrika. Viel wichtiger war aber, dass Doris Lessing mit diesem Roman schaffte, dem Frauentypus der herrschenden weißen Minderheit in den britischen Kolonien eine Stimme zu geben. Ein frühes Werk, das Rassismus in den Mittelpunkt stellte, bevor er zum literarischen Mainstream und bevor die Unabhängigkeit der Kolonien als unerlässlich gesehen wurden. Keine Frage, dass gerade dieses Werk ein Wegbereiter der Literatur des Postkolonialismus ist.
Ihr Hauptwerk, „Das Goldene Notizbuch“, erscheint 1962 – es geht um zwei politisch engagierte Frauen, intellektuell, kommunistisch, emanzipert. Das Werk wird zu einem Klassiker feministischer Literatur, was Doris Lessing jedoch nie anficht: Sie distanziert sich von dieser Lesart, verurteilt Feminismus gar als einen religiösen Akt. Genau das spricht aber auch für die Literatin, die für ihre „No bullshit!“-Haltung geliebt und gefürchtet wurde. Als sie 2007 – sechs Jahre vor ihrem Tod im vergangenen November – den Nobelpreis für Literatur bekam, winkte sie nur ab: „Den Nobelpreis kann man niemandem verleihen, der tot ist, also haben sie sich wahrscheinlich gedacht, die geben ihn mir, bevor ich abkratze.“ Oliver Dietrich
„Afrikanische Tragödie“ am heutigen Donnerstag, 19.30 Uhr, bei „Literatur im Gespräch“ im Bildungsforum, Am Kanal 47. Der Eintritt kostet 5 Euro.
Oliver Dietrich
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