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Kultur: Das Unbegreifliche

Oratorienchor Potsdam mit Bachs Johannespassion in der Friedenskirche

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Trauer und Schmerz findet man in der Johannespassion von Johann Sebastian Bach, jedoch nicht so ausgeprägt wie in der Matthäuspassion. Dort sind der Eingangs- und Schlusschor voll von bitterer Klage und tränenreichem Abschiedslamento. In der Johannespassion ist Jesus zwar auch der gedemütigte Schmerzensmann. Aber er ist hier in erster Linie Gottessohn und König. Und somit werden im Eingangschor „Herr, unser Herrscher“ sowie im abschließenden Choral „Ach Herr, lass dein lieb Engelein“ mehr der Lobpreis auf Jesus Christus thematisiert. Das Werk zielt auf Christi Erhöhung in der Erniedrigung und verweist auf deren Unbegreiflichkeit. Das sehr komplexe Werk erlebte am Sonnabend in der bis auf den letzten Platz gefüllten Friedenskirche Sanssouci eine insgesamt intensive und ergreifende Aufführung. Unter der Leitung von Matthias Jacob musizierten der Oratorienchor Potsdam und das Neue Kammerorchester Potsdam.

Die Johannespassion stellt große Anforderungen an die Mitwirkenden. So durch die verschiedenen Textebenen, die vom dramatischen Bericht des Bibeltextes, von der Betrachtung der Einzelnen in den Arien, den andächtigen Chorälen, den aufwühlenden Turba-Chören, die Volkes Stimme vertreten, reichen. Zum anderen durch die daraus resultierende Mehrfachzoll des Chores und die vielfältigen Aufgaben der Instrumentalisten und Solisten. Matthias Jacob verstand es wunderbar die kontrastierenden Elemente mit Individualisierungskunst und Integrationskraft zu einer stimmigen Gesamtaufführung zu verbinden. Großartiges hat er bei der Einstudierung der Chorsätze und Choräle geleistet, so dass der Oratorienchor sowohl den leidenschaftlich-dramatischen Elementen als auch den reflektierenden, betrachtenden Momenten gerecht wurde, wenn man von den Startschwierigkeiten im Eingangschor absieht. Auch wünscht man dem großen Ensemble ein paar Männerstimmen mehr. Die schwierigen Aufgaben, mal sanft oder zornig, mal demütig und wütend, auch voller Hass, mal pianissimo oder fortissimo zu singen, sich in die Texte hineinzuversetzen, Lebendigkeit oder Ruhe zu vermitteln, agil und beweglich zu reagieren, meisterten die Chorsängerinnen und -sänger vorzüglich. Wann hat man beispielsweise den Chor der Kriegsknechte über Jesu Kleidung „Lasset uns den nicht zerteilen“ mit solch einer spannungsgeladenen Deutung wie unter Matthias Jacob gehört?

Überhaupt wurde die Dramatik der Szenen Jesu vor Pilatus und der Kreuzigung zu den chorischen und orchestralen Höhepunkten. Das Neue Kammerorchester sowie die Continuospieler am Cembalo (Inge Lindner) und Orgel (Tobias Scheetz) bewährten sich wiederum als zuverlässige Instrumentalpartner, die den Vokalisten genügend Platz zur Entfaltung ließen und dennoch die instrumentalen Linien differenziert, klangschön und präzise nachzeichneten.

Die umfangreiche Partie des Evangelisten gab der Tenor Nicholas Cotellessa. Er war zwar ein sehr emotionaler Chronist, doch leider hatte er allzu oft seine Stimme nicht im Griff. Schade. Auch Peter Diebschlag, der andere Tenorsolist, konnte mit seiner kühlen Gestaltung und der zu engen Tongebung selten gefallen. Mit raumgreifendem Bass sang zwar Haakon Schaub die Jesus-Partie, doch war auch bei ihm nicht alles vom Feinsten. Zu viele Intonationstrübungen stellten sich ein. Hanna Wollschläger (Alt) war leider in dieser Aufführung fast eine Fehlbesetzung, da sie sich tonlich und gestalterisch den Zuhörern kaum mitzuteilen vermochte. Bleiben also als Leuchtpunkte Christine Wolff und Andreas Scheibner. Die Sopranistin gefiel wiederum durch ihre in der Höhe schlackenlose Stimme und mit bewegendem Ausdruck, besonders in „Zerfließe mein Herze“. Und der Bariton AndreasScheibner ließ die Gestaltung des Pilatus und in den Arien zu plastischen, packenden und tief anrührenden Erlebnissen werden. Klaus Büstrin

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