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Kultur: Das unendliche Räderwerk der Cembalo-Töne

Die Kammerakademie Potsdam spielt Konzerte und Suiten von Johann Sebastian Bach

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Rote Samtsitze, goldene Verzierungen, eine kleine Bühne, auf der die Musiker in Sichtnähe der Zuschauer sitzen – die Konzerte im Schlosstheater des Neuen Palais erfreuen Auge und Ohr zugleich. Einzig ein leinwandgroßes Foto mit dem verschneiten Park Sanssouci im Hintergrund der Bühne signalisiert einen Hauch von Gegenwart. Doch die Musik führte die Zuhörer dieser sehr gut besuchten Soiree ohne Umschweife 300 Jahre zurück. Barockmusik vom Feinsten, Suiten und Konzerte von Johann Sebastian Bach, standen am Sonnabend auf dem Programm der Kammerakademie Potsdam. Die musikalische Leitung lag beim Wiener Violinisten und Kammermusikspezialisten Erich Höbarth. Äußerlich erinnert er ein wenig an Franz Schubert und sein Spiel zeigt, dass hier ein Vollblutmusiker am Ruder ist, der die Gemeinsamkeit schätzt.

Den ganzen Reichtum der höfischen Tänze zu Bachs Zeiten entfalten die beiden Orchestersuiten Nr.1, BWV 1066, und Nr. 4, BWV 1069. Zwar fragt man sich bei dem hohen Tempo und den vertrackten Rhythmen von einer Courante, einigen Bourrées oder gar einer italienischen Forlane, ob die damaligen Herrschaften in Reifröcken und Perücken da tänzerisch hätten folgen können. Musikalisch ist die Darbietung allemal mitreißend. Anfangs noch etwas unausgewogen, auftrumpfend, dröhnend in den Bässen und schärflich in den Violinen, formen sich bald homogene Klangbilder. Ein flott glucksendes Fagott und helle, hölzerne Oboen in Zweier- und Dreier-Formation sorgen für lebendige Zwischenspiele im bewegten Hin und Her der Tanzrhythmen. Besonders opulent erklingt die in der rekonstruierten Fassung gespielte Suite Nr. 4, ein sehr effektvolles Stück. Drei Oboen und ein Fagott stehen den Streichern und dem Continuo gegenüber. Bei stetem Wechsel ergeben sich unzählige klangfarbenreiche Kombinationen, aus denen gelegentlich die Erich Höbarths Solovioline konzertant hervorragt.

Auf vielen Kammermusik-Podien ist der Wiener Violinist ein gern gesehener Gast, derzeit u.a. als künstlerischer Leiter der Camerata Bern und als Konzertmeister der „Caella Andrea Barca“. Erich Höbath kultiviert einen italienisierenden (oder auch wienerischen), schmelzenden Klang, bei dem ein elegant schmachtendes Vibrato einfach dazu gehört. Besonders schön kommt das im prachtvollen 5. Brandenburgischen Konzert zur Geltung, aber auch im Adagio des in der möglichen Urfassung rekonstruierten Konzerts für Violine und Oboe, BWV 1060. Hörbarths Violinspiel, das einen weichen Kontrast zu den herben, vibratolosen Klängen des Orchesters bildet, wirkt nie zum Selbstzweck rhetorisch aufgeladen, sondern fügt sich ins Gemeinschaftswerk ein. Es passt ebenso gut zur Flöte von Christopf Huntgeburth im Brandenburgischen Konzert wie zu Emma Blacks Oboe. Die hölzerne Traversflöte, ein 1770 in Potsdam gebautes Original, verfügt über einen wundervoll weichen Klang und wird von Christoph Huntgeburth recht zurückhaltend gespielt, was den Cembalo-Part gebührend ins Zentrum rückt. Emma Black erweist sich als virtuose Oboistin, der kein Ton zu lang und keine Verzierung zu schwierig ist.

Den herausragendsten Part übernahm zweifellos Gerd Amelung am Cembalo. Nicht nur als Continuo-Begleiter ist er bei allen Teilen hochgefragt, sondern auch als Solist. Mit Bravour und Brillanz durchläuft er das scheinbar unendliche Räderwerk der Cembaloarabesken des fünften Brandenburgischen Konzerts. Ein berückendes Beispiel genuiner Improvisationskunst, das Bach für sich erfunden hatte und höchstwahrscheinlich auf einem 1719 erworbenen kostbaren Cembalo aus Berlin erstmals aufgeführt hat. Fast dreihundert Jahre danach erstand so beim Konzert der Kammerakademie im Schlosstheater der Meister aus Sachsen in den Ohren der Zuhörer, die ihm posthum und den großartigen Musikern von heute herzlich applaudieren.

Babette Kaiserkern

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