
© Emmanuele Contini
Kultur: „Das war Partytime“
Choreograf Shang-Chi Sun über sein Jugendstil-Stück „Transit in Préludes“
Stand:
Herr Shang-Chi Sun, „Transit in Préludes“, Ihr Stück, mit dem Sie am Samstag in der „fabrik“ gastieren, beschäftigt sich mit der Epoche des Jugendstils, der aufbrausenden Kreativität des beginnenden 20. Jahrhunderts. Warum?
Nun, ich habe es auf Einladung des Berliner Bröhan-Museums entwickelt, das im vergangenen August damit seine Jugendstil-Ausstellung ergänzt hat. Mir gefällt aber diese Zeit, dieser Stil auch besonders, weil es da um die Befreiung von der Kunst ging. Das hat eigentlich alles verändert, diese unglaubliche Offenheit.
Sie sind ja nun aber Choreograf für zeitgenössischen Tanz – der Jugendstil liegt 100 Jahre zurück.
Diese Offenheit im Tanz, der Musik, alles war damals sehr erhaben – ganz anders als heute. Heute geht es nicht mehr so um den schönen Ausdruck, den schönen Rhythmus.
In der bildenden Kunst, der Architektur, auch der Musik hat der Jugendstil etwas fast Zärtliches, sehr Sanftes. Ist es das, was Sie fasziniert?
Ja, alles ist da immer sehr nah an der Natur dran, am natürlichen Ausdruck. Das zeigt sich an den Farben, aber auch der Leidenschaft, die sich darin ausdrückt.
Dieses Naturverbundene war ja auch eine Reaktion auf die Industrialisierung. Vermissen Sie etwas von diesem Sinn, diesem Stil in der heutigen Zeit?
Heute muss man im zeitgenössischen Tanz, wenn man die Musik hört, erst nachdenken, bevor man sich bewegt. Damals fing man einfach an zu tanzen, sobald die Musik erklang. Das war sehr entspannt, sehr frei. Das war auch ein wenig Partytime, damals. Darauf in etwa lässt sich der Unterschied herunterbrechen. Heute muss mehr analysiert werden, es steckt immer mehr hinter den Dingen – damals war es purer.
Warum ist das so?
Wir reflektieren heute so viel, weil sich der Tanz, die Stile in den vergangenen hundert Jahren so rapide entwickelt haben. Da ist eine größere Fülle an Dingen, auf die man sich beziehen kann und muss. Also müssen wir mehr darüber nachdenken, was wir neu oder anders machen können.
Sie verwenden vor allem die Musik von Claude Débussy, der ebenfalls um die Jahrhundertwende komponierte. Fiel Ihre Wahl sofort auf ihn – oder haben Sie lange nach der passenden Musik gesucht?
Ich mag seine Musik sehr, sie ist noch immer sehr heutig, sehr aktuell, sie funktioniert heute wie damals. Und: Sie lässt Raum zum Atmen, Débussy arbeitet ja auch mit Pausen, mit Momenten der Stille.
Débussys Musik dient, so schreiben Sie, im Stück auch als Referenz und Brücke zu den Jahren vor 1914. Wie ist das gemeint?
Nun ja, darauf läuft auch in meinem Stück alles hinaus: Die gute Zeit endet, der Übergang ins Chaos ist am Ende abgeschlossen. Ein wenig, als würde eine wunderschöne Skulptur anfangen zu schmelzen, ein Symbol für das Ende einer zauberhaften Epoche. Das Buch von Florian Illies „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ beschreibt das ja gut, was in dieser kurzen Zeitspanne alles erfunden, verändert und umgewälzt wurde – bevor dann mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs alles in die Katastrophe stürzte.
War das das Ende dieser unglaublich kreativen Energie?
Im Grunde haben die damals alles erfunden. Heute, wenn hundert Jahre später all die Ausstellungen zu dieser Zeit entworfen werden, können wir nur feststellen, dass es nichts wirklich Neues gibt, dass sich fast alles auf diese Epoche zurückführen lässt – und vieles nur weiterentwickelt wurde.
So viel zum ästhetisch-formalen, atmosphärischen Rahmen. Aber hat „Transit in Préludes“ auch eine Narration?
Ja, die Tänzer haben die entwickelt, ich habe ihnen viel Freiheit gelassen. Es gibt da etwa ein Stück von Débussy, das heißt „Das Mädchen mit den flachsblonden Haaren“, das sich am Fluss wäscht. Einer meiner Tänzer, David Essing, wollte seinen Charakter daraus entwickeln. Also verwandelte er sich ein wenig in eine Dragqueen – am Ende tanzt und stirbt sie.
Das Mädchen am Fluss ist in der Kunst und vor allem auch im Jugendstil ein häufig wiederkehrendes Motiv. Verwenden Sie noch andere solcher quasi-klassischen Bilder?
Ja, aber ich verändere sie auch manchmal ein wenig. So füge ich gelegentlich Elemente aus der japanischen Manga-Kultur hinzu. Überhaupt gibt es in dieser Zeit viele japanische Einflüsse in der europäischen Kunst.
Das Gespräch führte Ariane Lemme
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