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Ganz besondere Beziehung. Julian Steckel und sein Cello.

©  Marco Borggreve

Kultur: „Das war schon ein sehr extravaganter Wunsch“ Julian Steckel über Zwangspausen, jüdische Komponisten und Kleinkinderwünsche

„Phänomenal begabt“ und „Superstar von morgen“, solche Lobeshymnen liest man über den 28-jährigen Cellisten Julian Steckel in fast jeder Rezension. Im vergangenen Jahr gewann er den Internationalen ARD-Musikwettbewerb in München, in diesem Jahr ist sein erstes Album „Cello Concertos“ mit einem Orchester erschienen, das nicht nur die Kritik begeisterte.

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„Phänomenal begabt“ und „Superstar von morgen“, solche Lobeshymnen liest man über den 28-jährigen Cellisten Julian Steckel in fast jeder Rezension. Im vergangenen Jahr gewann er den Internationalen ARD-Musikwettbewerb in München, in diesem Jahr ist sein erstes Album „Cello Concertos“ mit einem Orchester erschienen, das nicht nur die Kritik begeisterte. Am morgigen Sonntag ist Julian Steckel zusammen mit dem Pianisten Paul Rivinius in der Kulturscheune Paretz zu erleben.

Herr Steckel, Sie sollen schon mit drei Jahren den Wunsch geäußert haben, Cello spielen zu wollen. Was hat Sie in diesem Alter ausgerechnet auf diese Idee gebracht?

Wenn ich das noch genau wüsste, dann könnte ich da mit einer Antwort weiterhelfen.

Klingt nach einer schönen Vermarktungsgeschichte: Schon mit drei Jahren wusste er, es soll das Cello sein!

Nein, das stimmt schon. Am Mittwoch, da habe ich in Stuttgart gespielt. Und die Veranstalterin ist schon lange mit meiner Familie befreundet, die war sogar meine Babysitterin. Die sagte zu mir mal wieder, dass das damals total komisch war, aber mit drei Jahren wollte ich plötzlich Cello spielen.

Spielt jemand in Ihrer Familie Cello?

Nein, meine Eltern spielen Klavier, Geige und Bratsche. Das haben sie auch studiert.

Und wie haben Ihre Eltern auf diesen Wunsch reagiert?

Die haben erst einmal abgewartet. Selbst habe ich noch keine Kinder, würde es aber genauso machen, wenn da ein Dreijähriger den doch sehr extravaganten Wunsch äußerst, Cello spielen zu wollen, obwohl er vielleicht noch gar nicht so recht weiß, was das für ein Instrument ist.

Sie sind mit Ihrem Wunsch aber äußerst hartnäckig geblieben.

Ja, in der Hinsicht war ich wohl konsequent, nach zwei Jahren ging es dann los und ich bin dem Instrument bis heute treu geblieben.

Eine Treue, die im Jahr 2005 auf eine harte Probe gestellt wurde. Sie hatten einen Unfall, bei dem Sie sich einen komplizierten Bruch des linken Handgelenks zuzogen. Lange Zeit war nicht klar, ob Sie überhaupt wieder Cello spielen können und wenn doch, ob Sie überhaupt wieder das alte Niveau erreichen werden.

Darauf werde ich immer wieder angesprochen und jedes Mal denke ich anders darüber. Und es ist immer wieder schwer zu sagen: Was wäre, wenn. Natürlich war das Comeback sehr schwierig, weil Cello spielen sehr viel mit Bewegung und Muskeln zusammenhängt. Die mussten erst einmal wieder aufgebaut werden. Das hat einfach gedauert.

Hatte diese Zwangspause Ihr Verhältnis zum Instrument verändert?

Ja, ich habe in dieser Zeit sehr deutlich gemerkt, wie sehr ich mich in den Jahren davor eins mit dem Cello und der Musik gefühlt habe. Das hat mir dann natürlich wahnsinnig gefehlt. Und es war frustrierend, wie lange es dann noch gedauert hat, bis ich endlich wieder an dem Punkt war und sagen konnte: Ich nehme jetzt das Ding aus der Kiste und spiele einfach. Es tut nicht weh, ich fühle mich auch nicht schwach. Das ist ja auch eine ganz sensible Beziehung, die man da mit seinem Instrument Tag für Tag eingeht.

Hat die Abstinenz diese Beziehung vielleicht auch vertieft?

Auf jeden Fall. Aber diese Zwangspause hätte nicht gleich so drastisch sein müssen. Rückblickend komme ich immer mehr dazu, dass eine solche Pause gar nicht so schlecht ist. In diesem Jahr plane ich nach zwei Jahren endlich mal einen kurzen Urlaub. Solche Momente braucht es einfach, um immer mal wieder den Kopf freizukriegen. Privat gesehen war der Sommer nach dem Unfall ein sehr schöner. Ich hatte ziemlich viel Zeit für Freunde und mein Privatleben. Das war schon toll.

Sie haben in diesem Jahr Ihr erstes Album mit einem Orchester veröffentlicht und sich dabei mit Ernest Bloch, Erich Wolfgang Krongold und Berthold Goldschmidt gleich für drei Komponisten des 20. Jahrhunderts entschieden. Drei Komponisten jüdischer Herkunft, die vor dem Nationalsozialismus fliehen mussten. Warum diese Wahl?

Ich wurde 2007 mit dem Borletti-Buitoni-Trust Fellowship Award in London ausgezeichnet. Das ist ein besondere Auszeichnung, weil damit relativ ernstzunehmende Geldbeträge verbunden sind. Die liegen zwischen 10 000 und 20 000 Pfund. Die bekommt man aber nicht einfach ausgezahlt, damit kann man sich entweder einen Bogen kaufen oder die Aufnahme einer CD finanzieren. Karrierefördernde Maßnahmen, würde ich mal sagen.

Und bei Ihnen fiel dann die Entscheidung für eine neue CD?

Ja, das erschien mir am sinnvollsten. Ich habe dann relativ lange überlegt, was ich einspielen will. Natürlich hätte es auch das bekannte Cellokonzert von Dvorák sein können. Aber heute, in der Masse der Veröffentlichungen, kann man mit einem 0815-Programm, so sehr das Dvorák-Konzert auch Spaß macht und immer wieder seine Berechtigung hat, kaum auf sich aufmerksam machen. Vor allem wenn man jung ist und noch keinen Namen hat.

Also Aufmerksamkeit durch eine ungewöhnliche Auswahl?

Natürlich nicht. Im Gegenteil, das zentrale Stück dieser Aufnahme ist „Schelomo“ von Bloch. Das begleitet mich schon so lange. Als Zehnjähriger habe ich mir das 20 Mal hintereinander angehört und war immer wieder total begeistert.

Als Zehnjähriger?

Ja, das ist so eine Frage wie die, warum man als Dreijähriger unbedingt anfangen will, Cello zu spielen. Aber es war so. Und je öfter ich das Konzert gehört habe, umso deutlicher wurde mir auch die tragische Dimension dieses Stückes und in dem Zusammenhang auch die Geschichte dahinter. Hinzu kommt, dass Ulrich Voss, der elf Jahre lang mein Lehrer war und mich sehr geprägt hat, ein unglaublich belesener Mensch ist und was Geschichte betrifft, zu Hause alle möglichen Bücher rumzustehen hat. Da habe ich an Büchern mitgenommen, was ich kriegen konnte. Und da Ulrich Voss der jüdischen Geschichte des letzten Jahrhunderts durch viele Freunde sehr verbunden ist, habe ich schon sehr früh Bücher über deren Schicksal gelesen, die mich tief erschütterten. Dadurch liegt mir „Schelomo“ von Bloch auch so am Herzen. Und es ist einfach ein großes Konzert.

Am morgigen Sonntag sind Sie zusammen mit dem Pianisten Paul Rivinius bei den Brandenburgischen Sommerkonzerten zu erleben. Was ist im Gegensatz zum Spiel mit dem Orchester für Sie der besondere Reiz an dieser ja fast schon intimen Begegnung?

Sie haben da schon die Antwort gegeben: Es ist diese intime Atmosphäre. Man hat in der Kammermusik die Chance, musikalische Details viel feiner darzustellen, als wenn das 70 oder 80 Mann hinter einem spielen.

Ist in einem Kammerkonzert dann vielleicht ein persönlicherer Julian Steckel zu erleben?

Nein, ich glaube, wenn man auf die Bühne tritt, ist die Selbstentblößung immer gleich. Natürlich hat man nicht jeden Tag das Gleiche zu bieten und Inspiration lässt sich nicht unendlich generieren. Wenn man mit einem Orchester spielt, muss die eigene musikalische Botschaft ein wenig größer formuliert werden. Bei einem Kammermusikkonzert kann man dagegen mehr mit dem Bleistift zeichnen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Julian Steckel spielt zusammen mit dem Pianisten Paul Rivinius am morgigen Sonntag, dem 17. Juli, um 17 Uhr in der Kulturscheune Paretz im Rahmen der Brandenburgischen Sommerkonzerte Werke von Debussy, Liszt, Saint-Saëns und Brahms. Restkarten an der Abendkasse erhältlich

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