
© Sehsüchte/Promo
Kultur: Dem Tode so nah
Drei „Sehsüchte“-Preise bleiben diesmal in Potsdam. Das Sterben ist in mehreren Preisfilmen Thema
Stand:
Um es gleich vorweg zu sagen: Entscheidungen von Jurys muss man respektieren. Aber nicht unbedingt teilen. Dass der Preis für den besten langen Spielfilm bei dem am Sonntag zu Ende gegangenen HFF-Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ an den finnischen Film „So it goes“ (Antti Heikki Pesonen) ging, ist nicht völlig daneben. Aber angesichts der vielen anderen starken Filme schwer nachvollziehbar. Die Geschichte der gefrusteten Elli, die den in sie verliebten Heze nur für ihre Zwecke ausnutzt und dann, als er sterben muss, doch noch vermisst, bevor sie auch noch erfährt, dass er vielleicht ihr Halbbruder war – das ist schon sehr konstruiert.
Sicher, der Film ist handwerklich gut gemacht, steckt voll von finnischem Lebensverdruss und die Darstellerin der Elli hat die gefrustete junge Frau so gut verkörpert, dass sie dafür zu recht auch noch den Schauspielpreis der „Sehsüchte“ erhält. Doch wirklich mitreißend oder emotional nahegehend wird die Geschichte nicht, man bleibt irgendwie nur Beobachter. Einzige Erkenntnis: „Adulthood is a big pain in the arse“. Das wussten wir doch schon.
Ähnlich verhält es sich mit dem doppelt ausgezeichneten Film „Buy me!“ von Catalina Flórez (Filmakademie Baden-Württemberg), der sowohl als bester langer Dokumentarfilm als auch für seinen Schnitt ausgezeichnet wurde. Wir befinden uns im Rotlichtbezirk von Amsterdam, die Prostituierten erzählen von ihrem Leben, ihren Wünschen und ihrer Arbeit. Das wird dann bei 59 Minuten irgendwann doch etwas langatmig, es dreht sich im Kreis: Eigentlich wollen die Mädchen da wieder raus, einige Kunden wollen eklige Sachen mit ihnen machen, dann sind es wieder die Outfits, die heißen Höschen und die anderen Accessoires, über die gefachsimpelt wird. Besonders geschickt oder ungewöhnlich geschnitten wirkt das Ganze auch nicht unbedingt. Hier wurde stärker Handwerk als Inhalt und Wirkung bedacht, klare Struktur und sicherer Rhythmus galt der Schnitt-Jury als preiswürdig, erfrischender Zugang und große Geschlossenheit der Dokfilm-Jury.
Treffender fielen da schon die Preise in der Kategorie „Unter 30 Minuten“ aus. Der kurze Spielfilm „Die Schaukel des Sargmachers“ ist ein kleines Juwel. Ganz unaufgeregt erzählt Elmar Imanov (Internationale Filmschule Köln) die Geschichte eines aserbaidschanischen Sargmachers, der seinen behinderten Sohn malträtiert. Als er erfährt, dass Musa nur noch kurze Zeit zu leben hat, verändert sich seine Beziehung zu dem erwachsenen Sohn, er sorgt sich um ihn, auch wenn er es nicht einmal vor sich selbst zugeben will. Als sich dann auch noch die ärztliche Prognose als Fehldiagnose herausstellt, meint man geradezu so etwas wie kurze Freude bei dem spröden Vater zu bemerken. Ein Film der leisen Zwischentöne, der die tiefen Kluften des zwischenmenschlichen Zusammenlebens in der einsamen, kargen Bergwelt Aserbaidschans auslotet. Sehr empfehlenswert.
Solche Kluften gibt es zwischen der Regisseurin Josephine Links (HFF Potsdam) und ihrer Großmutter nicht. Sie sprechen in dem grandios mit Schwarzweiß-Einstellungen bebilderten Dokumentarfilm „Wir sterben“ über den unausweichlich näher kommenden Tod der alten Frau. Beide auf einem Bett, der junge Körper neben dem sehr alten, sprechen sie in einer erstaunlichen Offenheit über die letzten Dinge des Lebens. Sie wolle einfach einschlafen, ohne Aufgeregtheit, sagt die alte Frau am Ende. Doch sie denkt nicht ohne Beklommenheit an das, was kommen mag: „Weil man weiß, dass man es nicht unter Kontrolle hat.“ Dass der Film den Preis für Dokumentarfilme unter 30 Minuten des Festivals erhielt, ist mehr als nachvollziehbar. Er ragt aus den anderen Filmen durch die große Nähe, die er dem Zuschauer zu den beiden Frauen ermöglicht, heraus. „Persönlich, intim, ein Film voller Poesie und Zärtlichkeit. Fotografiert wie ein Gedicht“, lautete dann auch das Urteil der Jury.
Womit wir bei dem kleinen Preiswunder für die Potsdamer HFF wären. In den Vorjahren war man etwas zurückhaltend damit, Preise auch an Filme von der HFF zu vergeben, schließlich richten die Studenten der Hochschule das Festival selbst aus. Diese unnötige Zurückhaltung scheint nun durchbrochen, gleich drei Filme der HFF wurden ausgezeichnet. Neben „Wir sterben“ auch der vielbeachtete Film „Kriegerin“ über das Neonazimädchen Marisa von HFF-Absolvent David Wnendt (Produzentenpreis für Sophie Stäglich), der nahezu zeitgleich beim Deutschen Filmpreis mit drei Preisen ausgezeichnet worden war. Hinzu kommt noch Tomer Esheds kongenialer HFF-Animationsfilm „Flamingo Pride“ (zusammen mit „Swarming“ von Joni Männistö ausgezeichnet), in dem ein Flamingo darum kämpft, aus der schwulen Gemeinde der anderen Flamingos herauszukommen.
So hat das Studentenfestival in diesem Jahr nicht nur den Faden zum Potsdamer Publikum wieder stärker aufgenommen – von der brechend vollen Eröffnung über volle Kinderfilmblocks bis zur ausgebuchten Party am Samstag –, sondern auch ein wenig zu sich selbst gefunden. Dass man neben dem Thalia und der HFF nun auch wieder das Studiogelände bespielt, ist zu begrüßen, wenn auch das Thalia als Festivalkino der unangefochtene Platzhirsch bleibt. Und rund 6500 Gäste und Zuschauer, das waren gut zehn Prozent mehr als im Vorjahr – ein gutes Omen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: