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Kultur: Dem Vergessen entrissen

Das Buch und die Ausstellung „Verehrt Verfolgt Vergessen“ erinnert an Schauspieler als Naziopfer

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Das Buch und die Ausstellung „Verehrt Verfolgt Vergessen“ erinnert an Schauspieler als Naziopfer Von Heidi Jäger „Am Abend des 5. November 1941 treffen Meta und Joachim Gottschalk alle Vorbereitungen, um gemeinsam mit ihrem achtjährigen Sohn Michael aus dem Leben zu gehen. Ganz still und unauffällig, so wie sie gelebt haben, geht das vonstatten. Abschiedsbriefe werden geschrieben, an Verwandte, an Freunde. ,Um uns mußt du nicht trauern, Du weißt, wir sind glücklich'', schreibt Meta. Die wertvollsten Habseligkeiten werden wohlüberlegt den verschiedensten Leuten zugedacht. Gustav Knuth eine Armbanduhr, seine Frau einen Ring, einem Kollegen die Anzüge. Joschi hat Schlaftabletten besorgt, der kleine Michael hat seine Ration unauffällig zum Abendessen bekommen. Nun werden die Fenster sorgsam abgedichtet und Matratzen aus dem Schlafzimmer neben dem Gasherd gelegt ... " Joachim Gottschalk, verheiratet mit einer jüdischen Frau, ist einer von fast 50 Schauspielern, die von den Nazis in den Tod getrieben wurden. In seinem Buch „Verehrt Verfolgt Vergessen" schrieb der Kulturhistoriker Ulrich Liebe gegen dieses Vergessen an. Seine 1992 verfasste „Sammelbiografie" ist inzwischen in zehnter Auflage erschienen. Auch die von ihm kuratierten zwei Ausstellungen - eine als Stelltafelversion und die andere mit Originalen - gingen von Stadt zu Stadt und erreichten weit über eine Million Menschen. Ab Montag kommt die Exposition auf ihrer 75. Station nach Potsdam zurück: umfangreicher und zeitlich länger als vor neun Jahren und wiederum von einer Filmreihe begleitet. Auch das Buch liegt in erweiterter Neuauflage vor: bereichert um eine CD mit Tondokumenten, auf der sich die Künstler literarisch, kabarettistisch und musikalisch noch einmal sehr authentisch in Erinnerung bringen. Vier Jahre spürte Ulrich Liebe den Lebenswegen der fallen gelassenen und ermordeten Schauspieler nach. Auch sie sollten endlich zu Worte kommen, angesichts der Flut von Biografien und Autobiografien, in denen betagte Schauspieler ihr Leben Revue passieren ließen. „Dass ihnen während des ,Dritten Reiches'' nach und nach fast fünfzig Kollegen abhanden kamen, findet kaum Erwähnung. Das waren Kollegen, die auch nur ihren Beruf ausübten und spielen wollten. Dann aber verschwanden sie über Nacht, kamen am nächsten Tag nicht mehr zur Probe oder ins Atelier. Hat sie jemand vermisst, nach ihnen gefragt, sich für sie eingesetzt?" Sehr bekannte Gesichter, teilweise populäre Stars seien verfolgt, gequält, eingesperrt, in den Tod getrieben, gehenkt, erschlagen, erschossen und vergast worden. „Ausgemerzte Kultur, deren Spuren schon beinahe völlig verweht sind, fast schon vergessen", schreibt Ulrich Liebe in seinem Vorwort. Er begab sich mit seinen Recherchen auf eine mühsame Reise, musste bei den Nachforschungen beim Punkt Null beginnen. „Es gab nichts über diese Leute. Außer bei Hans Otto, den die DDR mit mehreren tollen Büchern bedachte." Der DEFA-Film „Ehe im Schatten" von Kurt Maetzig habe zwar auch einiges über Joachim Gottschalks Schicksal eingefangen, „aber er hielt sich nicht an die Lebensgeschichte. So fand Sohn Michael keine Erwähnung, und dass Joachim Gottschalk zum Militär eingezogen wurde, war auch der dichterischen Freiheit geschuldet." Ulrich Liebe vergrub sich nicht in die üblichen Archive, er suchte im In- und Ausland Orte auf, an denen die Schauspieler oder ihre Familien lebten oder Spuren hinterlassen hatten. So sprach er in Amsterdam - mit einem Foto des Schauspielers in der Hand - alle über 70-Jährigen in der Nähe des Hauses an, in dem der emigrierte deutsche Jude Otto Wallburg in einem möblierten Zimmer gelebt hatte. Das Glück war auf Liebes Seite: Eine alte Dame hatte tatsächlich einige persönliche Dinge aufbewahrt, die nach Wallburgs Verhaftung einfach auf die Straße gestellt worden waren. Der Schauspieler wurde nach zehnjähriger Flucht 1944 vergast: „von dem dicken Komiker Otto Wallburg ist nur etwas Asche in Auschwitz geblieben ..." Nach London fuhr Ulrich Liebe, als er heraus fand, dass die Witwe von Paul Morgan dort noch lebte. Von ihr durfte er einen Teilnachlass in Empfang nehmen, darunter Briefe aus dem KZ und auch die Sterbeurkunde. Es gibt zudem zahlreiche Fotos von den beliebten Komiker, die ihn u.a. an der Seite von Adele Sandrock und Buster Keaton, als Schwarm von Hollywooder Starletts, eingehakt mit Marlene Dietrich oder mit Heinrich George in dem Film „Menschen hinter Gittern" zeigen. Morgan zählte auch zu den Freunden des deutschen Außenministers Gustav Stresemann. Doch der erfolgreiche Mime brachte sich an höchster Stelle in Ungnade: seine spitze Zunge machte auch vor dem Reichskanzler nicht halt, was er bitter zu spüren bekam. „Den Sommer 1938 verbringt er im KZ Dachau, seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag im Oktober 38 im KZ Buchenwald, neun Wochen später ist er tot. Keine Nazischerge hat ihn erschlagen, auch Gaskammern gibt es noch nicht. Für den hochsensiblen, geistreichen Paul Morgan hat der ganz normale KZ-Alltag ausgereicht, um ihn auszulöschen", ist im Buch zu lesen. Ulrich Liebe beschäftigt sich nun schon 17 Jahre mit dem Schicksal dieser 47 Künstler, die oft nicht mal ein Grab fanden. Doch wenn er von ihnen redet, schwappen noch immer Emotionen hoch. „Michael Gottschalk wäre heute 72 Jahre. Er könnte noch leben. Wie pervers muss ein Staat sein, dass er Menschen so in die Enge treibt, dass sie gemeinsam mit ihrem Kind in den Tod gehen. Michael hatte nichts von den Absichten der Eltern geahnt. Er zeigte sich nur gegenüber einem Schulfreund verwundert, dass sein Vater die Fenster abdichtete, obwohl es noch gar nicht so kalt draußen war," erzählt Ulrich Liebe mit feuchten Augen. Er setzte mit seinem Buch und der Ausstellung diesen Verfolgten, Geschundenen und Getöteten ein spätes und um so wichtigeres Denkmal. Zur Eröffnung am Montag um 19.30 Uhr liest Friedrich Schoenfelder aus dem Buch von Ulrich Liebe. Die Ausstellung der Herbert Ihering Gesellschaft wird unterstützt von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung.

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