zum Hauptinhalt
Lob der guten Regierung. Der fröhliche Reigen, ein typischer Tanz zu Zeiten der Renaissance, findet sich in den historischen Fresken im Rathaus Sienna. Er soll zeigen: Wenn die Stadt gut regiert wird, geht es den Bürgern gut. Choreografin Gaëlle Bourges lässt ihre Tänzer die Szene nachempfinden.

© promo

Kultur: Demokratie und viel Vergnügen

fabrik Potsdam zeigt Stücke aus dem deutsch-französischen Residence-Programm Étape Danse

Stand:

Kann man ein Bild tanzen? Ein Bild, das an sich bereits eine Geschichte erzählt? Wie kann man sie heute erzählen? Die französische Choreografin Gaëlle Bourges nimmt als Ausgangspunkt für ihre neue Produktion „Conjurer la peur“ (zu Deutsch: Gebannte Angst) ein italienisches Renaissance-Fresco. Wie man sich einer solchen Wandmalerei heute tänzerisch nähern kann, hat die Choreografin in der vergangenen Woche in der fabrik Potsdam mit neun Tänzern ausprobiert. Als Artist in Residence nahm Gaëlle Bourges an Étape Danse teil, dem deutsch-französischen Residenzprogramm der fabrik in Zusammenarbeit mit CDC Uzès Danse, Théâtre de Nîmes und dem Institut Français Deutschland. Am gestrigen Freitag wurden erste Arbeitsergebnisse bei einem Showing präsentiert. „Das ist ein wichtiges Zwischenergebnis auf dem Weg zur Premiere“, sagte Laurent Dubost von der fabrik. Wo die Premieren beider Stücke von Étape Danse im kommenden Jahr stattfinden werden, ist noch offen. Möglicherweise werden die Stücke eines Tages beim Festival „Made in Potsdam“ zu sehen sein, so Laurant Dubost.

Arbeitspräsentationen vor Fachpublikum und interessierten tanzaffinen Gästen gehören zum Alltag des international bekannten Tanzzentrums. „Sie sind wichtig, um mit anderen Häusern und Kuratoren in Kontakt zu bleiben. Um die fabrik Potsdam international sichtbar zu machen – und natürlich auch die jungen Künstler.“ Die gestrige Probe schauten sich vor allem Gäste aus Berlin an. Von den gegenwärtig dort stattfindenden Festivals wie Tanz im August wurden Besucher gezielt nach Potsdam eingeladen. Außerdem kamen Kuratoren aus Salzburg, Zürich und Frankreich. „Die schauen sich bei uns um und überlegen, ob sie die eine oder andere Produktion für ihr Haus einkaufen“, sagte Laurent Dubost.

Noch sind die Produktionen nur fragmentarisch fertig. Die Choreografen führten vor der Vorstellung intensiv in den laufenden Arbeitsprozess ein. Nach der Vorstellung kamen Zuschauer, Tänzer und Produzenten ins Gespräch. „Feedback ist wichtig“, sagte Laurent. „Die Choreografen und Künstler wollen natürlich wissen – funktioniert das Stück?“

Gaëlle Bourges zeigte zunächst Bilder der meterlangen Freskomalerei, auf die sich ihr Stück bezieht. Die Bilder hängen im Rathaus von Sienna und waren eine Auftragsarbeit der Stadt Sienna im Jahre 1338 an den Maler A. Lorenzetti. Der Freskenzyklus „Allegorie der guten und der schlechten Regierung“ sollte für Demokratie werben. Die Wandbilder zeigen zunächst einen Rat der Stadt, demokratisch gewählte, angesehene Bürger, denen jeweils Tugenden zugeordnet sind. Wie sich eine Stadt unter einer guten Regierung prächtig entwickeln kann, zeigt ein weiteres Bild. Im Kontrast dazu steht das Bild der schlechten Regierung, auf der die Personen schlechte Eigenschaften verkörpern. Konsequenterweise sind die Auswirkungen auf Stadt und Land fatal, wie ein weiteres Bild zeigt.

Gaëlle Bourges war von den Bildern an den mittelalterlichen Rathauswänden begeistert. Sie lässt die Tänzer sich langsam, wie marionettenartige Personen bewegen. Kein wilder Überschwang, sondern beschaulich, würdevoll und in sich ruhend werden sie zum Bild der guten Regierung. Und auf den Straßen wird fröhlich getanzt. Ganz anders in schlechten Zeiten, wenn Krieg und Betrug, Verrat und zügellose Sexualität um sich greifen. Im Zeitlupentempo bekämpfen sich auf der Bühne die schlechten Stadtväter, im Lande geht es drunter und drüber.

Lea Moro, Choreografin aus Deutschland, hat sich die gegenwärtige Vergnügungspark-Kultur zum Thema ihres Stücks genommen. „Fun!“ heißt die Produktion mit vier Tänzern, die sich die Frage stellen: Wann, wo und wie vergnügen wir uns? Welchen Zweck verfolgen wir damit? Welche körperlichen und sprachlichen Auswirkungen wie Lachen, Weinen, Schreien, Atem hat Vergnügen?

Sie hat zur heutigen gesellschaftlichen Relevanz sowie aktuellen Formen des Vergnügens recherchiert. „Vergnügungsparks sind laut, grell und überfrachtet“, sagt sie. „Was macht das mit uns?“ Ihre Tänzer scheinen wie Süchtige, die zitternd den immer schrägeren und größeren Kick suchen. In weißen Kleidern und mit geschminkten Gesichtern bewegen sie sich durch den Vergnügungswahnsinn, durch Lazertunnel und mit Mondraketen, wie Teile der Inszenierung genannt werden. Sie hantieren mit Jahrmarktsutensilien, eine menschengroße Dinosaurierpuppe taucht plötzlich auf, singt und tanzt. Bis sie verbraucht ist und achtlos liegen bliebt. Das Vergnügen wird zuletzt zum Orgasmus des Einzelnen, der immer mehr will und darauf giert – auf Kosten der anderen. Schneller, höher, weiter. Bis am Ende Erschöpfung und Entfremdung stehen.

www.fabrikpotsdam.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })