
© Andreas Klaer
Von Dirk Becker: Den eigenen Weg gehen
Am morgigen Donnerstag feiert „Vom Widerstehen“ im Hans Otto Theater Premiere
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Carolin Lorenz muss lachen, wenn sie diesen Satz wiederholt. 20 Jahre ist es her, als sie diesen Satz zum ersten Mal zu sich sagte: „Ich will keine Kompromisse mehr machen!“ Damals war sie 18 Jahre alt und nicht bereit, den Erwartungen der Gesellschaft zu entsprechen. Sie wollte keine genormte Biografie, die Heirat, Kinder und eine Wohnung im Neubaublock vorsah. Sie wollte ein anderes, ein eigenes Leben. In ihrem Lachen schwingt heute Erstaunen und Milde mit. Erstaunen über die Radikalität, mit der sie damals ihren Standpunkt vertrat. Und Milde mit dieser 18-Jährigen, deren jugendliche Kopf-durch-die-Wand-Einstellung Carolin Lorenz heute, 20 Jahre später, mit den gemachten Erfahrungen, der eigenen kleinen Familie mit ihrer Tochter mit ganz anderen Augen sieht.
Jeanne Grabner hat sich auch gegen die Erwartungen gewehrt. Das Leben in der DDR war ihr zu eng. Schon als Kind war sie in ihrer Familie zu einem kritischen Abstand gegenüber den Verhältnissen in der DDR erzogen worden. Doch Kritik außerhalb der Familie war nicht erwünscht. Jeanne Grabner wollte offen reden, durfte aber nicht. Sie wollte über alternative Lebensformen diskutieren, durfte aber nicht. „Egal was wir wollten, es gab immer einen Gegendruck, der uns förmlich zu Bürgerrechtlern gemacht hat“, sagt Jeanne Grabner.
Als Carolin Lorenz und Jeanne Grabner im Potsdam der 1980er Jahre begannen, sich dem DDR-sozialistischen Einheitsstrom zu widersetzen, in verschiedenen Arbeits- und Aktionsgruppen aktiv waren, ging es ihnen nicht um Revolutionen oder Umstürze. So naiv waren sie trotz ihrer Jugend nicht. Aber sie glaubten an Veränderungen, so illusorisch das im Rückblick auch klingen mag. „Viele kleine Schritte an vielen verschiedenen Orten können auch zu einer Veränderung führen“, sagt Jeanne Grabner. Viele kleine Schritte, die diese Frauen vor allem aber auch machten, um zu widerstehen.
„Vom Widerstehen“ heißt das Theaterstück, das am morgigen Donnerstag im Hans Otto Theater Premiere feiern wird und in dem Carolin Lorenz und Jeanne Grabner neben fünf weiteren „Widerständlern“ ihre ganz persönliche Geschichte aus der Zeit vor und während der Wende erzählen werden.
Im Frühjahr erhielten beide Anfragen vom Regisseur Clemens Bechtel, der durch ihre Beiträge im Buch „Widerstand in Potsdam“ auf sie aufmerksam geworden war. Wie im erfolgreichen Stück „Staatssicherheiten“, das allein in Potsdam mittlerweile knapp 20 ausverkaufte Vorstellungen erleben durfte, erzählen auch in „Vom Widerstehen“ keine Schauspieler, sondern Zeitzeugen ihr Erleben in der DDR. Sie haben die Manuskripte selbst geschrieben und werden von ihren Ideen, Hoffnungen und Träumen berichten. In „Vom Widerstehen“ kommen Zeitzeugen zu Wort, die sich mit den Verhältnissen in der DDR nicht abfinden wollten, sich aber nicht für ein Gehen, sondern für ein Bleiben entschieden hatten. Die daran glaubten, dass sie etwas verändern können. Wie dabei Politik das eigene Leben beeinflusst und wie im Gegenzug ein solches Leben die Politik beeinflussen und auch verändern kann, dass will „Vom Widerstehen“ zeigen.
Für Jeanne Grabner war es weniger das Problem, ihre Geschichte auf einer Bühne zu erzählen. Als Musikerin ist sie den Kontakt zum Publikum gewohnt. Für sie stand am Anfang die Frage: Woran erinnere ich mich überhaupt? Denn 20 Jahre können eine lange Zeit sein. Jeanne Grabner hatte nach der Wende sechs Jahre in Lateinamerika verbracht, arbeitet jetzt in Berlin im Bereich Stadtentwicklung. „Die Fakten waren natürlich noch präsent, aber das Gefühl dieser Zeit, als alles plötzlich so schnell ging, das musste ich lange suchen.“
Carolin Lorenz hatte anfangs überhaupt keine Lust auf eine solche intensive Auseinandersetzung mit der Zeit vor 20 Jahren. „Ich bin einfach viel zu sehr im Hier und Jetzt verhaftet“, sagt sie. Doch die Gespräche mit Regisseur Clemens Bechtel haben die Neugier in beiden geweckt. Wie war das damals, als plötzlich alles möglich schien, als zu den Ideen von alternativen Lebensmöglichkeiten durch den Wendeherbst 1989 noch mehr Ideen und, wie sich im Rückblick zeigte, auch zahlreiche Illusionen hinzukamen? „Diese Zeit, als wir wussten, wir würden am Rad der Geschichte mitdrehen“, wie es Jeanne Grabner nennt.
„Vom Widerstehen“ ist vor allem ein Theaterstück mit Dokumentarcharakter, das von einer ganz bestimmten Zeit aus ganz bestimmten Perspektiven erzählt. Und so sind Jeanne Grabner und Carolin Lorenz auch zurückhaltend, wenn es um die Frage geht, was beispielsweise die junge Generation von heute daraus lernen kann. Beide wollen sich nicht zu Plattitüden à la „Widerstand lohnt sich immer“ hinreißen lassen. Doch wer mit beiden spricht, spürt sehr schnell, dass ihre damaligen Einstellungen ihnen auch noch heute als die richtigen erscheinen. Und auch wenn Carolin Lorenz lacht, wenn sie den Satz: „Ich will keine Kompromisse mehr machen!“ wiederholt, schwingt da neben dem Erstaunen und der Milde auch immer ein wenig Stolz mit.
Premiere von „Vom Widerstehen“ am morgigen Donnerstag, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse. Weitere Vorstellungen am Samstag, 7. November und am Samstag, 28. November, jeweils 19.30 Uhr. Karten unter Tel.: (0331) 98 11 8
Dirk Becker
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