Kultur: Den Finger auf der Wunde
Lässt sich Nationalsozialismus und Kommunismus vergleichen? Eine Konferenz des Einstein Forums
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Lässt sich Nationalsozialismus und Kommunismus vergleichen? Eine Konferenz des Einstein Forums Sonnabend im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte: Etwa 40 Augenpaare sind auf einen 88-jährigen Briten gerichtet. Immer wenn Eric Hobsbawm bei dieser Konferenz spricht, wird der Saal auf einen Schlag still. Der weltbekannte Historiker ist der Star unter den im Raum versammelten Intellektuellen. Im Gegensatz zu vielen Teilnehmern ist sein Ton bestimmt und die Worte, die er wählt, klar und verständlich. „Diese Konferenz“ mahnt er seine Kollegen „ist auch ein Relikt des 20. Jahrhunderts und des Versuchs, die Geschichte in schwarz und weiß zu unterscheiden.“ Historiker sollten sich der Unterscheidung in entweder / oder verweigern, gab er zu bedenken. Viele namenhafte Historiker, Intellektuelle und Augenzeugen sind an diesem Wochenende dem Ruf des Einstein Forums nach Potsdam gefolgt. Unter dem viel versprechenden Titel „Offene Wunden – Reflektionen über den Nationalsozialismus, Kommunismus und das 20. Jahrhundert“ wurde diskutiert. Aus Deutschland waren der Potsdamer Historiker Martin Sabrow (ZZF), Karl Schlögel (Viadriana / Frankfurt Oder), Norbert Frei (Universität Jena) und der DDR-Auslandsspionagechef Markus Wolf als Zeitzeuge geladen. Abgesehen vom ersten Tag, blieb die Konferenz weitgehend unbemerkt von der Potsdamer Öffentlichkeit. Und das trotz des bislang recht heiklen Themas der Vergleichbarkeit von Nationalsozialismus und Kommunismus. Norbert Frei erinnerte daran, dass es noch vor 1989 undenkbar für seriöse Historiker gewesen sei Nationalsozialismus und Kommunismus zu vergleichen. Dass sich dies langsam verändert, ist Ausdruck vieler gesellschaftlicher Entwicklungen, denen sich auch Historiker nicht entziehen können. Trotzdem hielten sich die deutschen Teilnehmer mit dem Vergleichen der beiden Ideologien sehr zurück. Martin Sabrow, Leiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), erklärte, dass sich seither auch die Erinnerungskultur unmerklich jedoch stetig verändert habe. „Das Konzept des Augenzeugen zum Beispiel ist Teil unserer neuen Erinnerungskultur“ sagte er. Abgesehen von der Tendenz zur Betrachtung von Einzelschicksalen und Erinnerungen von Augenzeugen, die von den meisten der anwesenden Historikern als kritisch für die Geschichtsschreibung gesehen wurde, hat auch die Öffnung der Archive in den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes zu einer Perspektivverschiebung geführt. Wie auf der Konferenz spürbar wurde, sind vor allem osteuropäische Staaten wie die Ukraine, Polen oder Tschechien härter in ihrem Urteil über den Kommunismus, weil sie die Phase des Sozialismus als Zeit der Besetzung erinnern. Der polnische Historiker Dariusz Stabo widersprach deshalb der Feststellung Eric Hobsbawms vehement und sah kein Problem darin Nationalsozialismus und Kommunismus zu vergleichen. Die Meinungen der Historiker gingen hier weit auseinander. Auch der Titel der Konferenz wurde kritisiert. Ob nicht Nationalsozialismus und Stalinismus eher zu vergleichen wären, lautete der Einwand. Die Direktorin des Einstein Forums, Susan Neiman, verteidigte das Thema. Sie wolle den Vergleich auch mit anderen Staaten des früheren Ostblocks. Im Zentrum der Debatte stand schließlich die Frage, wie es in Zukunft mit der Geschichtsschreibung weitergehen kann, und wie sich Historiker ethisch positionieren sollten. Tony Judt regte an, dass man die Worte Gut und Böse, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges zum legitimen Vokabular vieler Historiker gehören, als erstes tilgen sollte. Michael Krause
Michael Krause
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