Kultur: Den Geist in die Flasche zurückverbannen
Filmabend zu einer atomwaffenfreien Welt: Diskussion im Filmmuseum
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Behutsam öffnet der Arzt das Augenlid einer jungen Frau. Doch wo man den Augapfel erwartet, kommt nur eine schwarze Höhle zum Vorschein. Das Auge ist verdampft. Das letzte, was es gesehen hatte, war ein Blitz. Jenen gleißend hellen Blitz, der am 6. August 1945 um 8.15 Uhr in Hiroshima die Zeit still stehen ließ, der innerhalb von Sekunden Hunderttausende tötete, Körper einfach verdampfen ließ oder mit Langzeitfolgen schädigte: Die erste Atombombe, die jemals eingesetzt wurde.
Noch 60 Jahre später verschlug die Dokumentation „Das Gebet einer Mutter“ über die Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki den Zuschauern am Donnerstagabend im Filmmuseum den Atem, ließ viele den Blick von der Leinwand abwenden. Dass das gezeigte, entsetzliche Leid mit der möglicherweise in Potsdam gefällten Entscheidung für den Einsatz der Bombe vor Ort ihren Ausgangspunkt haben könnten, verstärkte den Drang, die Augen zu verschließen.
Auch Horst-Eberhard Richter, Psychoanalytiker und Mitbegründer der Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“, fiel es nach dem Film schwer, das Wort zu ergreifen und über die zunehmende Auslöschung des Bewusstseins der Gefahr durch Atomwaffen zu sprechen. Für Richter ist diese Verdrängung eine „psychische Krankheit“.
Vorrangig die Drohungen der USA gegenüber Iran sind es, die ihm derzeit Sorgen machen und den mahnenden Charakter des ersten Atombombenabwurfs unterstreichen. Eine „Perversion“ nannte er es, dass viele Menschen die atomare Drohkulisse weitgehend als Mittel zum Frieden akzeptieren, statt der eigenen Verständigungs- und Versöhnungsunfähigkeit zu vertrauen. Dabei habe die Gefahr durch Atomwaffen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts nicht abgenommen. Die Entwicklung „kleiner“ Atombomben senke vielmehr die Hemmung, diese auch einzusetzen. Es müsse dagegen vorgegangen werden, dass rund 2000 amerikanische Sprengköpfe binnen 15 Minuten jederzeit einsetzbar sind. Es sei endlich an der Zeit, so appellierte Richter den ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara zitierend, den „Geist in die Flasche zurückzuverbannen“.
Einer, der den Einsatz einer Atombombe selbst miterlebte, ist Hideto Sotobayashi. Gerade einmal 16 Jahre war er alt, als der gleißende Blitz seine Heimatstadt Hiroshima nahezu auslöschte, ihm die Mutter und viele Freunde nahm. Lange hatte er geschwiegen, erst im letzten Jahr begann der inzwischen emeritierte Professor für Physik an der Technischen Universität Berlin, über seine Erlebnisse zu sprechen. Obwohl ihm dies auch im Filmmuseum nicht leicht fiel, beschrieb er, wie die Amerikaner nach dem Krieg ein Krankenhaus einrichteten, um bei der verstrahlten Bevölkerung Tests über die Folgen der mörderischen Waffe durchzuführen. Die Initiative für das Denkmal in Babelsberg begrüßt er dagegen ausdrücklich. Eine Gedenktafel oder Stele, wie sie hier angedacht ist, könne verhindern, so hofft Sotobayashi, dass Hiroshima im Bewusstsein der Menschen zu einem Ort wie jeder andere werde. Moritz Reininghaus
Moritz Reininghaus
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