Kultur: Den Geräuschen auf der Spur
Hugo Gries hat 36 Jahre lang Filme in Babelsberg synchronisiert / Open Air Kino zeigt diese Defa-Klassiker
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Als Hugo Gries nicht mehr weiter wusste, hat er sich an sein Fenster gesetzt und die Leute auf der Straße beobachtet. Er hat ihnen auf die Füße geschaut, den Rhythmus ihrer Schritte mit seinem Körper aufgenommen und dann mit seinen Füßen, auf der Stelle tretend, versucht mitzugehen. Es dauerte, doch irgendwann war er mit ihnen synchron, hatte er das perfekte Geräusch zu den Schritten auf der Straße. Und wenn die Leute aus seinem Blickfeld verschwanden, hat er versucht, so lange wie möglich, den Rhythmus ihrer Schritte beizubehalten.
Fast 50 Jahre liegt es nun schon zurück, dass Hugo Gries am Fenster sitzend sozusagen seine ersten ernsthaften und erfolgreichen Schritte als Geräuschemacher tat. Er hatte sich das alles einfacher vorgestellt und sich damals immer wieder gesagt, dass er sich das nicht antun müsse. „Aber ich hatte auch den Ehrgeiz und wollte nicht als der dastehen, der es nicht gebracht hat“, sagt Hugo Gries heute.
Mehrere hundert Filme hat Hugo Gries in seinen 36 Jahren als Geräuschemacher in den Studios auf dem Defa-Gelände in Babelsberg synchronisiert, darunter auch „Coming out“, „Tödlicher Irrtum“ und „Die Frau und der Fremde“, die ab Samstag im „Open Air Kino“ im Vulkan des Filmparks gezeigt werden. Jahrelang hat der 78-jährige Gries mit seinen Geräuschen Selbstverständliches geliefert, das der Zuschauer, beeindruckt oder gefesselt von den Bildern, meist nur beiläufig wahrnimmt. Doch es reicht nur kurz den Ton am heimischen Fernseher auszustellen und schlagartig wird einem bewusst, was Geräusche für einen Film bedeuten.
Dass er später zum Film wollte, war Hugo Gries schon früh klar. Nach dem Krieg in Borkheide aufgewachsen, hat er fasziniert den Erzählungen seines Nachbarn, der vor dem Krieg als Feuerwehrmann auf dem Babelsberger Filmgelände gearbeitet hat, gelauscht. Schnell war er heillos mit dem Filmvirus infiziert. Als er sich mit 19 Jahren sich Anfang 1949 im Studio bewerben wollte, erfuhr er, dass es einen Einstellungsstopp gäbe. „Doch beim Fahrdienst suchten sie Leute“, sagt Gries. Und weil Hugo Gries bereit war, seinen Traum auch über Umwege zu erreichen, hat er erst einmal sieben Jahre als Autoschlosser in der Nähe der großen Stars gearbeitet. Als aber der freiberufliche Geräuschemacher erkrankte und Unterstützung brauchte, kam seine Chance.
„Ich war als Hansdampf bekannt.“ Also wurde Hugo Gries dem Geräuschemacher zur Seite gestellt. Doch weil der argwöhnte, der junge Gries könnte ihm seine Arbeit streitig machen, ließ er ihn nur Handlangerarbeiten verrichten. „Als der Geräuschmacher dann ganz ausfiel, sollte ich seine Arbeit übernehmen, schließlich hatte ich ihm ja dabei zugeschaut.“ Doch schnell musste Hugo Gries lernen: Vom Zuschauen allein kann keiner wirklich Geräusche machen.
Hugo Gries musste schnell lernen. Und weil er keinen Lehrer hatte, musste er zuerst einmal Hören lernen. „Es ist ja nicht so, dass ich einfach nur Schritte nachmache. Es gibt leichte und schwere, fröhliche und traurige Schritte.“ Er hat ein Gehör entwickelt für die Feinheiten und Unterschiede und noch heute, wenn er durch die Stadt geht, horcht er auf, wenn er für ihn interessante Schritte hört. Und Hugo Gries hat sich immer wieder den Kopf darüber zerbrochen, wie er bestimmte Geräusche synchronisieren kann.
Den Koffer mit den Utensilien hat er immer noch. Kokosnüsse für das Hufgetrappel von Pferde, der Koffer selbst für das Geklapper von Postkutschen in Wildwestfilmen, ein Lederlappen, den er sich und die hohle Hand legt, um so eine Schlägerei nachzustellen. Doch einmal war er kurz davor, keine Lösung zu finden.
Es ging um eine brutale Schlägerei in einem Western. „Der Regisseur wollte zu der Szene, wo einem Indianer mit einem Revolver der Schädel eingeschlagen wird, auch besonders brutale Geräusche haben.“ Hugo Gries hat probiert und immer wieder Vorschläge gemacht. Aber erst als er sich einen halben Schweinekopf besorgt und diesen mit Metallteilen bearbeitet hat, war der Regisseur zufrieden. „All die Jahre war dieser Beruf immer wieder mit neuen Herausforderungen verbunden.“ Er hat es dabei zu einer Kunstfertigkeit gebracht, dass seine Geräusche wie das Selbstverständlichste klingen. Ein besseres Kompliment kann man einem Geräuschemacher kaum machen. Dirk Becker
Morgen, ab 22.30 Uhr, wird zum Auftakt der Open Air Saison im Filmpark Potsdam der Defa-Klassiker „Heißer Sommer“ gezeigt. Vier weitere Defa-Filme, darunter „Tödlicher Irrtum“ und „Coming Out“, werden in der kommenden Woche gezeigt. Karten zu 8 Euro unter Tel.: (0331) 601 23 17/-18
Dirk Becker
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