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Osterkonzerte in Potsdam: Den höheren Worten lauschen

In zwei Karfreitagskonzerten – eines in der Friedens- und eines in der Nikolaikirche – wurde das Leiden Christi besungen.

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Dieser galiläische Wanderprediger, Unruhestifter und Aufwiegler, der Jesus von Nazareth genannt wird, gehört beseitigt. Schließlich kritisiert er in aller Öffentlichkeit die Geschäftemacherei rund um den Tempel in Jerusalem. Der Hohepriester Kaiphas sorgt dafür. Nach Gefangennahme, nächtlichem Verhör (2 Uhr), Ausfragungen durch den obersten geistlichen Gerichtshof (6 Uhr), anschließendem Prozess unter Vorsitz des römischen Statthalters Pontius Pilatus (8 Uhr) verkündet dieser um 11 Uhr das Urteil: Kreuzigung! Eine Stunde später findet sie statt. Nach qualvollem Todeskampf stirbt Jesus um 15 Uhr – zur „neunten Stunde“ nach Tagesanbruch. An dieses Geschehen erinnert bis heute der Karfreitag.

Er ist der höchste Tag der Christen, an dem sie nicht nur dem Leiden und Sterben Jesu, sondern auch den Opfern jedweder religiöser Gewalt gedenken. Die gab es ja nicht nur vor 2000 Jahren, die gibt es auch heute noch. Und so erklang auch in der Friedenskirche – zur Sterbestunde Jesu – der Zyklus „Membra Jesu nostri“ von Dieterich Buxtehude. In sieben Kurzkantaten werden laut Titel „die allerheiligsten Gliedmaßen unseres leidenden Jesu“ besungen.

Sie basieren auf schwülstigen mittelalterlichen Lateintexten des Arnulf von Löwen. Angefangen von den genagelten Füßen über geschundene Knie und Hände, gemarterte Seite und Brust, bis hin zu Herzeleid und dornengekröntem Haupt. So sind nachdenkliche, ohne barocke Aufplusterungen auskommende, schlicht und konzentriert komponierte Klangmeditationen nach einem festen Bauplan entstanden. Einer instrumentalen Sonata-Einleitung folgt stets ein fünfstimmiger Chor auf einen Bibeltext. Der Vocalkreis Potsdam unter der souveränen Leitung von Joachim Walter, der auch das Continuo auf der Truhenorgel spielt, weiß mit seinem innerlich stark beteiligten, präzise zusammenklingenden Vortrag sehr für sich einzunehmen. Die diversen Arien-Verse zwischen tröstlich und frohgemut werden von wechselnden Chorsolisten eindrucksvoll vorgetragen. Besonders einprägsam der Gesang von zwei Sopranistinnen sowie je einem Alt, Tenor und Bass. Textverständlich ist der Gesang nicht immer, stattdessen erzeugt er einen allgemeinen Klangeindruck. Oder wie schon Robert Schumann sagte: „Töne sind höhere Worte.“

Das beherzigt auch die „Cappella Regina“, die auf zwei Violinen und mehreren Gamben in historischer Aufführungspraxis spielte. Um den Gottessohn als Menschensohn zu begreifen, werden zwischen den Kantaten die letzten Worte Jesu mit zeitgemäßen, philosophisch geprägten Kommentaren fern jeglicher Frömmelei kontrapunktiert und mit schnörkelloser Rationalität vorgetragen (Texte und Lesung: Klaus Büstrin). Würde das Publikum nach einer reichlichen Stunde in ergriffener Stille auseinandergehen? Fast hätte es geklappt, doch der Versuch einiger weniger Klatscher wurde schnell im Keime erstickt.

Zu innerer Einkehr angehalten ist man auch beim Karfreitagskonzert in der Nikolaikirche, wo Kantor Björn O. Wiede mit seinem famosen Ensemble „Exxential Bach“ die Bachsche Johannes-Passion BWV 245 aufführt. In dramatischen Szenen erzählt das Werk auf höchst plastische Weise von den bekannten karfreitäglichen Geschehnissen. Was hier textlich und tonsetzerisch auf Konzentration ausgerichtet ist, wird spannungsreich, fern jeglicher Betulichkeit in zügigen Tempi vorgetragen. Und: Was üblicherweise zirka zwei Stunden dauert, schafft Björn O. Wiede in 105 Minuten. Einen Chor gibt es nach wie vor nicht, dessen Part übernimmt das stimmexzellente Solistenquartett mit Heidi Maria Taubert (Sopran/Arien), David Erler (Altus/Arien), Jan Remmers (Tenor/Evangelist, Arien) und Bert Mario Temme (Bass/Jesus, Arien). Dass dadurch die Bachsche Kontrastdramaturgie mit ihrer fordernden Aufgeregtheit von Volkes Stimme (Turba-Chöre) und die Vielfarbigkeit der Choräle auf der Strecke bleibt, nimmt der Wiedergabe viel von ihrer künstlerischen Glaubwürdigkeit. Und merkwürdig mutet es schon an, wenn bereits der Eingangschor „Herr, unser Herrscher“ von nur vier Sängern angestimmt wird. Wenn es Arien mit Choreinwürfen vorzutragen gilt, sind für letztere Aufgabe dann nur noch drei Stimmen einsatzfähig. Wie kläglich. Dramaturgisch überzeugend ist dagegen, wie Björn O. Wiede, der auch die Petrus-Einwürfe und den Part des Pilatus übernommen hat, verlängerte Pausen als Gestaltungsmittel einsetzt. Ansonsten gilt: ein musikalisches Freudenfest voller Leidenschaft und Besinnlichkeit. An Beifall herrscht danach leider kein Mangel.

Peter Buske

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