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„Das ist auch euer Krieg.“ Bundeswehrsoldaten auf der Suche nach versteckten Sprengfallen im Distrikt Charrah Darreh in der Nähe von Kundus in Afghanistan.

©  dpa

Kultur: Den Krieg fühlen

Im Gespräch mit Martina König über das Theaterschiff und ihr Stück „34,5 cm neben dem Glück“

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Es ist eine sehr persönliche Geschichte. Eine, die im Glück hätte enden können: hinter der sorgfältig im Abstand von 34, 5 Zentimetern gepflanzten Lebensbaumhecke. Doch der Traum vom gesicherten Leben wurde zerrissen im Tausende Kilometer entfernten Afghanistan. Im fremden Krieg, zu dem Sven sich freiwillig gemeldet hatte und aus dem er nicht zurückkehrte zu dem so schön geplanten Weihnachtsfest im gerade gebauten Eigenheim mit Frau Anna, den beiden Kindern und seiner Mutter. Sven, ohne Vater großgeworden, wollte aufbauen, was er nie hatte: eine Familie und materielle Sicherheit. Nun müssen auch seine Kinder ohne Vater auskommen.

Es ist eine wahre Geschichte, auf der das von Martina König und Sohn Niclas Ruge gemeinsam entwickelte Theaterstück basiert und das ab kommenden Freitag auf dem Theaterschiff erzählt wird. Martina König hat sie in einem Buch von Heike Groos gelesen, der Sanitätsärztin und vierfachen Mutter, die ihre Einsätze überlebte, aber bis heute an dem Trauma des Krieges leidet. Heike Groos war mit Sven befreundet, der im richtigen Leben Andrejas Beljo hieß. Er gehörte zu den vier Toten, die sie 2003 nach dem Selbstmordanschlag auf einen Bundeswehrbus in Kabul bergen musste. Andrea Beljo, seine Witwe, schrieb in dem Buch von Heike Groos „Das ist auch euer Krieg“: „Es ist Zeit, unseren Soldatinnen und Soldaten endlich den nötigen Respekt zuteil werden zu lassen, den sie bei der Ausübung ihres Dienstes verdienen. Es ist aber auch Zeit, endlich über die damit verbundenen Risiken zu sprechen und nichts schön zu reden.“

Martina König, die neue Künstlerische Leiterin auf dem Theaterschiff, will darüber erzählen, wie Krieg im Hier und Jetzt, in deutschen Familien ankommt. „Und was es mit uns macht. Es geht nicht ums Politisieren, das fände ich anmaßend.“ Sie will berühren, so wie sie selbst berührt ist, und dadurch Gespräche in Gang bringen. „Das ist für mich die aktivste Form der Auseinandersetzung.“ Das Autorenteam Martina König und Niclas Ruge nahm sich den schonungslos genauen Berichten aus den Büchern von Heike Groos an und entwickelte daraus eine Geschichte. Die sechs Schauspieler gingen dann über Improvisationen in Beziehung zu den Theaterfiguren und erforschten deren Motivationen und Befindlichkeiten. In der Choreografin Ulrike Henning fand die Regisseurin eine Partnerin, die Gefühlsmomente der Figuren in Körperbilder umsetzt.

„34,5 cm neben dem Glück“ erzählt auch von dem Davor und dem Danach. Anna will sich aufmachen, den blutgetränkten Ort in der Fremde zu sehen. Ein schwieriges Unterfangen, an dem sie wächst, über die Trauer hinaus. „Sie befreit sich aus ihrer privaten Enge und gerät in ihre Kraft“. Und sie merkt, dass die Welten nicht getrennt sind, sich die private und große Welt nicht voneinander abgrenzen lassen. Eine Erkenntnis, die für das Bühnenbild von Jana Feiler eine große Rolle spielt und die Verknüpfung von Deutschland und Afghanistan auch auf acht Metern Bühnenbreite möglich machen will.

Mit dieser von ihr so lange im Herzen bewegten Geschichte tritt Martina König nun nach fast 15 Jahren erstmals wieder als Regisseurin an die Öffentlichkeit. Ihre Inszenierungen am Hans Otto Theater und an dem von ihr gegründeten Theater „Havarie“ in Potsdam sind jedoch unvergessen. Die kleine Frau mit der großen Energie entwickelte gemeinsam mit Hausbesetzern das Stück „12 Uhr mittags herrscht Gerechtigkeit“, um das Zeit- und Lebensgefühl nach der Wende einzufangen. In „Nix los“ ging es um Gewalt unter Jugendlichen, in „Nie im Leben“ um Magersucht.

Aus Liebe für einen Mann ließ sie die Liebe zum Theater ruhen und zog nach Stralsund. Anfangs arbeitete sie dort in der Psychiatrie und wendete ihre Regiemethoden bei Straftätern an: Mit einer von ihr entwickelten Theatertherapie, die blockierte Gefühle lösen half. Sie zeigte den Gestrauchelten, dass man das, was man spielt, immer in Kontakt mit sich selber bringt, um die eigene Wahrheit herauszufinden.

Sie selbst konzentrierte sich bald mehr an der Seite ihres Mannes um den Aufbau und die Leitung eines Geschäftshofes für Naturstein, Dekoration und Veranstaltung, und auch die vier Kinder brauchten sie. Schließlich ging sie bei dem besten Floristen, den sie auftreiben konnte, in die Lehre. „Aber vom Theater kann man sich nicht scheiden lassen, höchstens eine Weile getrennt leben.“ Und so ist sie nun seit fünf Jahren wieder dort, wo sie so viel Angeschobenes zurückgelassen hat: in Potsdam.

Das bekannte Fahrrad mit der Aufschrift „Rumpelkönig. Ein Märchen für die Ewigkeit“, mit dem sie anfangs auf dem Markt am Nauener Tor Blumen direkt aus dem gelben Korb verkaufte, wenn sie nicht gerade Hotels dekorierte, steht jetzt am Theaterschiff. Als sie Ende 2010 gefragt wurde, ob sie mit an Bord kommen würde, zögerte sie nicht lange. Hier traf sie auf eine Leidenschaft, die sehr der ihren glich. Doch sie übernahm zugleich die schwere Bürde, das Theater auf neuen Kurs zu bringen. Raus aus dem Fahrwasser der Comedy und der seichten Unterhaltung.

Der Verein setzt künftig mehr auf Qualität und inhaltlichen Tiefgang und mit der eigenen Inszenierung zeigt Martina König klar, wohin die Reise geht. Ein schwieriger Weg? „Ja, ein sehr schwieriger. Das größte Problem sind die Finanzen“, sagt Martina König. „Alle Spieler haben nebenher noch Jobs, weil wir keine Probenhonorare zahlen können und das Geld für die Vorstellungen stellen sie dem Verein zur Verfügung. Das niedrige Budget schränkt die Arbeitsintensität sehr ein.“

Es habe sich dennoch schon viel verändert, auch Paula E. Pauls Inszenierung „Spiels nochmal, Sam“ hat bereits die Richtung gezeigt, die Martina König anstrebt. So wie die neue Reihe „Theaterstars an Bord“, die mit einer ausverkauften Lesung von Jörg Schüttauf begann, den Martina König aus ihrerArbeit als Dramaturgin am Hans Otto Theater kennt. Mit entsprechenden Geldern könnte sie sich gut vorstellen, Produktionen mit Schauspielgrößen, die es in Potsdam ja reichlich gibt, in kleinen Besetzungen auf dem Schiff zur Premiere zu bringen. Und sie wird auch selbst weiter Regie führen. Schon im November soll es eine weitere Inszenierung von ihr geben, in Anbetracht der Kürze der Zeit aber von einem fertigen Stück. Vielleicht eine „Carmen“-Adaption für nur eine Schauspielerin.

Für nächstes Jahr plant Martina König ein Festival für junge Bühnenkünstler, für Dramatiker, Regisseure und auch Musiker. Denn der Nachwuchs ist der 52-jährigen gebürtigen Cottbuserin, die an der Filmhochschule in Babelsberg Film- und Fernsehwissenschaften studierte, besonders wichtig.

Das Heitere wird indes nicht ausgeblendet: Eine Potsdam-Revue wird vorbereitet, mit der die Schauspieler bei einem hoffentlich richtigen Sommer im kommenden Jahr herum schippern möchten. Ein Schiff will schließlich auch auslaufen. Hin zu neuen Ufern. So wie Martina König und ihr Verein, der künftig auch an schweren Themen nicht mehr vorbei manövriert. Und nun mit „34,5 cm neben dem Glück“ das „Theaterglück“ in der Dramatik des realen Lebens sucht.

Premiere am kommenden Freitag, dem 26. August um 20 Uhr auf dem Theaterschiff in der Alten Fahrt. Weitere Vorstellungen am 27. und 28. August, jeweils 20 Uhr. Karten unter Tel.: (0331) 28 00 100

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