Kultur: Den Schaden trägt Hölderlin
„Verbrennungen“ in der Villa Schöningen
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Hölderlins Hyperion ist so etwas wie das Matterhorn der deutschsprachigen Dichtung, weithin sichtbar, sehr markant und äußerst schwierig zu erklimmen. Schon einmal versuchte Andrea Conrad diesen Gipfel zu bezwingen, als sie am Hans Otto Theater in Potsdam eine dramatische Fassung vorlegte. Angesichts eines hochartifiziellen Texts, der wie kaum ein Zweiter aus Poesie und Philosophie schöpft, war das Ergebnis nicht unumstritten. Deutlich wurde schon damals, dass Hölderlins Hyperion sich im Grunde jeder Art von Visualisierung widersetzt.
Am Sonntagvormittag präsentierte Andrea Conrad in der Villa Schöningen nun eine filmische Version ihrer Bemühungen um Hölderlin für die Gegenwart. Als Sprecher stand Moritz Führmann zur Verfügung, der bereits den „Eremiten in Griechenland“ im Potsdamer Theater gespielt hatte. Unter dem Titel „Verbrennungen“ wurden rund 30 Zuschauer intermedial bespielt mit einer Melange aus Filmbildern, Hölderlin’schen Textfragmenten, Einsprengseln aus Andrea Conrads „Gesängen an das HOHEALTER“ sowie mit Ausschnitten aus Streichquartetten des zeitgenössischen Komponisten Georg Friedrich Haas. Da gab es Bilder zu sehen von Schutt und Scherben, rostigen Streben und abgeschnittenen Kabeln, Gittern, Mauern, aber auch Mond und Sonnenuntergang, Natur und Blüten, Hammer und Amboss und vieles mehr. Häufig wurden die Texte schlicht eins-zu-eins bebildert, wie bei den Liebesworten, wo, große Überraschung, ein Meer von rosaweißen Blüten wogte. Manchmal wird auch das Mittel des Kontrasts eingesetzt, etwa wenn anstelle der genannten Pflanzen Eisenstreben im Bild aufragen. Auffällig viele filmische Effekte, wie Überblendungen, Zoom-Fahrten, Eröffnungs- und Verschlussblenden, verbrämen das Ganze geheimnisvoll. Dazu hört man Moritz Führmann und eine Frauenstimme verschiedene, aus dem Zusammenhang gerissene Textstellen sprechen, entweder live oder im Bild, auch mal als Duett oder als Echo zur Filmstimme. Als ob der ständige technische Wechsel nicht genug wäre, säuseln die Streicher des Kairos-Quartetts dazu vom Band und betören die Ohren mit pfeifenden, schwirrenden, gleißenden Tongebilden im Stil der Neuen Musik. Wenn der Weltgeist von seelenvollen Bildern spricht, wiegen sich die Filmbilder mit. „Modern!“, „Kunst!“, „Schaut her!“ scheint jedes Detail marktschreierisch zu rufen. Den Schaden trägt Hölderlin dabei, aber der kann sich ja nicht mehr wehren. Seine unerhörte Sprachkunst und poetische Erfindungskraft, sein Gedankenreichtum werden schlicht und einfach zugekleistert. Erstaunlich ist schon, wofür sich dieser esoterische und hermetische Text heute eignet. An die Stelle von Sinn und Form tritt nun ambitioniertes Kunsthandwerk, nicht frei von Kitsch.
Vielleicht erfüllt es aber wenigstens einen ganz profanen Zweck. Als Werbe-Clip für die „Vereinigung für genreverbindende Kunstprojekte“, dessen Geschäftsführerin Andrea Conrad ist, könnte dieses aufgeplusterte Kunst-und-Medien-Potpourri gut herhalten. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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