Kultur: Den Wandel betonen
Das Hans Otto Theater stellte seinen Spielplan 2010/11 mit 20 Neuinszenierungen vor
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Schwergewichtig geht es in der neuen Spielzeit des Hans Otto Theaters zur Sache. So wird der 1000-seitige Epochenroman „Der Turm“ von Uwe Tellkamp in eine Bühnenfassung destilliert und im November Premiere haben. Zu der von John von Düffel bearbeiteten Geschichte, die vom Erwachsenwerden in einem vormundschaftlichen System erzählt und in Dresden spielt, führt Intendant Tobias Wellemeyer Regie, der selbst aus Dresden stammt.
„Wir wollen das Unterwegssein und den Wandel eher betonen, als das Angekommensein“, sagte Wellemeyer zum Programm der kommenden Spielzeit, das 20 Premieren, darunter sechs im Kinder- und Jugendbereich sowie Rossinis „Aschenputtel“ als Koproduktion in der „Potsdamer Winteroper“ und eine weitere Zusammenarbeit mit der Babelsberger Filmhochschule (HFF) vorsieht.
Wie Wellemeyer gestern auf einer Pressekonferenz sagte, erlebe er nach acht Monaten am Hans Otto Theater jetzt langsam das Glücksgefühl, die Vielstimmigkeit des Potsdamer Publikums zu fassen. „Potsdam fühlt sich größer an als es ist, weil sich hier so viel wandelt, weil Ost- und Westbiografien enorm aufeinanderstoßen, es Studenten und Touristen und natürlich die Nähe zu Berlin gibt.“ Er wolle die Kontraste nicht glätten, sondern spiegeln und finde es gut, vor einem selbstbewussten Publikum mit Ansprüchen und Erwartungen agieren zu können. „Auch die Zuschauer kommen langsam weg von Pauschalisierungen, differenzieren zwischen Aufführungen und Künstlern.“ Er zeigte sich erfreut, dass die Schauspieler inzwischen Fans gefunden hätten und auch auf der Straße auf ihre Figuren angesprochen werden, wie Franziska Melzer – die man sich, ohne schon die Besetzung zu kennen, bestens als Eliza in „My fair Lady“ vorstellen kann, die im kommenden Januar Premiere hat.
Gerade sehr kontrovers diskutierte Aufführungen hätten ein großes Zuschauerinteresse nach sich gezogen, so Wellemeyer. „Das ermutigt uns, die Künstler weiter ihre subjektiven Interpretationen ausleben zu lassen.“ Dazu hat Lukas Langhoff nach „Macbeth“ nun mit der Adaption des skurrilen Films „Adams Äpfel“ Gelegenheit. Der Spielzeitauftakt wird ebenfalls komödiantisch bestritten: mit Gogols „Revisor“, der die Mittelstandgesellschaft auf dem dünnen Eis selbstverkennender Eitelkeit zeigt. Über die Erotik des Geldmachens erzählt das Stück „Enron“, das, wie Chefdramaturgin Ute Scharfenberg sagte, in London große Erfolge feierte und einen der größten Wirtschaftsskandale in einer dokumentarischen Theaterrevue fasse.
Erfolge am Broadway feierte „Die Familie“, die sarkastisch mit den Lebenslügen von Erfolgreichen abrechnet, so Ute Scharfenberg. Es sei zudem ein tolles Ensemblestück, also eine Wiederbegegnung mit vielen der 25 Schauspieler, die im zurückliegenden Jahr fast 30 Inszenierungen stemmten. Wie Wellemeyer unterstrich, richte sich die Hälfte der Vorstellungen an Kinder und Jugendliche, die aber nur 18 Prozent der Einnahmen ausmachten. Er appellierte an die besondere Fürsorge der Stadt. Wenn das HOT 300 000 Euro mehr auf der Haben-Seite hätte, könnte es sich entspannter mit Miet- und Nebenkosten sowie der Gagenentwicklung und technischen Neuanschaffungen beschäftigen und die rund 20 Neuproduktionen im Hinblick auf Ausstattung und Regie stabiler begleiten, so Wellemeyer. „Wir begegnen dem strukturellen Defizit durch kluge improvisatorische Selbstbeschränkung, weil wir die Eintrittspreise nicht erhöhen und keine Kollegen entlassen wollen. Aber wir werden auch gezwungen sein, das Haus in den Spielzeitpausen zu vermieten, selbst bei der Gefahr, unser Profil zu verwässern.“
Trotz der ohnehin schwierigen Situation wolle man versuchen, den erwirtschafteten Eigenanteil von 12,5 auf 15 Prozent anzuheben. Der Intendant zeigte sich mit der Auslastung vor allem im Vergleich zu anderen ostdeutschen Städten zufrieden. 108 000 Zuschauer 2009 und eine Auslastung von 71,8 Prozent seien eine gute Zahl. Die Abos im Kinder- und Jugendbereich seien gestiegen und die Zahl der Schüler und Studenten ohne Abo hätten um rund 15 Prozent zugenommen. „Zwar hängen wir im Moment mit 1450 Besuchern im Vergleich zum Vorjahr zurück, aber die werden wir sicher bis Jahresende aufholen. Schließlich haben wir einen starken Spielplan und es gelingt uns immer besser, auch neue Zuschauergruppen zu erreichen.“ Vor allem mit dem Angebot an zeitgenössischen Stücken in der Reithalle wolle man sich „verjüngen“. Für Spannung dürfte dort das Uraufführungsprojekt „Potsdam – Kundus“ sorgen, das nach dem schwierigen Weg zum Frieden in Afghanistan fragt. „Dazu wollen wir möglichst viele Stimmen recherchieren und authentische Akteure auf die Bühne holen.“ So auch aus Geltow, wo das Einsatzführungskommando der Bundeswehr ihren Sitz hat. Recherche und Regie führt Clemens Bechtel, bekannt bereits durch seine Projekte „Staats-Sicherheiten“ und „Vom Widerstehen“.
Und auch Frankfurt und Brandenburg wird das HOT weiter bereisen, „selbst wenn wir dort oft vor halbleeren Reihen spielen, weil Identifikation und Vermittlungsstrukturen fehlen“, so Wellemeyer. Dennoch bringen die Auftritte innerhalb des Theaterverbundes rund 130 000 Euro Gewinn, da unabhängig vom Besuch gezahlt wird. Gerade hätten Gespräche begonnen, die Förderkriterien neu zu formulieren und vielleicht auch neue Partner mit ins Boot zu holen. Heidi Jäger
Das Video wurde uns freundlicherweise von PotsdamTV zur Verfügung gestellt.
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