Kultur: Denn Ordnung muss sein Tschechisches Kino
von Jan Nemec im Thalia
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Das Schöne an der Dauer ist ihre Kürze. Sind Autor, Werk und Zeit noch nah beieinander, rezipiert man das Geschaffene wohl zuerst durch die Zeit. Später wird das Werk immer wichtiger, es autorisiert sich von selbst, oder nicht. Am Dienstag zeigte man im Babelsberger Thalia unter dem Kürzel „Tschechisches Kino“ so ein Produkt aus vergangenen Tagen, Jan Nemec“ Schwarz-weiß-Film „Vom Fest und den Gästen“, aus dem Jahre 1966. Eine Gruppe Intellektueller macht mitten im Walde ein Picknick, man ist unterwegs zu einer Hochzeit, die oben am Weg lärmend vorbeizieht. Die Gruppe von einer zweiten gekidnappt, Anführer Rudolf zieht einen Kreis um sie, übertreten verboten. Man weiß nicht, was die Fremden wollen, eine unangenehme, bedrohliche Situation. Erst das Erscheinen eines weißbejackten Herren macht dem übermütigen Treiben ein Ende, er ist die Autorität. Man begibt sich zum Waldsee, wo die Hochzeitsgesellschaft wartet. Nun könnte man nach den Regeln des Gastgebers rechtschaffen feiern, hätte sich nicht ein Außenseiter davon gemacht. Er „liebt“ diese Art von Geselligkeit nicht. Damit „der rechte Platz“ nicht leer bleibe, brechen alle auf, ihn zurückzuholen, notfalls mit einem Gewehr, denn Ordnung muss sein.
In seiner Entstehungszeit rezipierte man diesen Film natürlich anders als heute. Für Jan Nemec gab es schon bei der Uraufführung 1966 Ärger. Der ranghöchste Politiker, Novotny, sah in der forschen Weißjacke „Lenin entheiligt“, wie die Filmhistorikerin Tereza Dvorakova von der Karls-Universität Prag vorab mitteilte. Formal bezog sich der Streifen auf die von Frankreich importierte „Neue Welle“. Als Stil hat Nemec eine nicht immer durchgehaltene Groteske gewählt. Anleihen kamen auch von Kafka, der in der Tschechoslowakei 1963 salonfähig wurde. Ungewöhnlich die Besetzung: Neben wenigen Profis bat der Regisseur führende Künstler und Intellektuelle um Mitwirkung.
Klar, dass die Zuschauer ihre „progressiven“ Vordenker bald erkannten. Heute muß sich diese Filmparabel aus sich selber behaupten, was im gut besetzten Saal im Thalia wohl auch geschah. Sie wurde vom Publikum unter dem Schlagwort „Totalitarismus“ weitgehend angenommen. Man erfuhr von Berufsverbot und Exil (1977) des Regisseurs, vom „Schicksal einer ganzen Generation tschechischer Intellektueller“ nach dem Einmarsch der Warschauer Truppen im August “68. Das Wort „Eiserner Vorhang“ fehlte in dem Gespräch, leider. Wollte Jan Nemec als „Enfant terrible“ des etablierten Kinos schon vor 68 „mit den angepassten Intellektuellen“ der CSSR, ihrem Opportunismus, ihrer Feigheit, „abrechnen“, so rächte sich die vermeintlich neue Macht nun an ihnen allen. Tereza Dvorakova nannte, wie zeitlos, „vier Reaktionen“ auf die neue Staatsrepression: Anpassung durch Drehen eines Kotau-Films, Arbeit „an der Peripherie“, Nichtanpassung mit Berufsverbot, oder eben Exil. „Vom Fest und den Gästen“ zählt heute zu den „Tresorfilmen“, für viele eine dauerhafter Wert. Doch alles Historische abgezogen, bleibt auch er nur ein Film unter Filmen. Gerold Paul
Gerold Paul
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