
© Andreas Klaer
Kultur: Der Abgrund des Alltäglichen
Mit „Und so viel bleibt unbeantwortet“ hat der Potsdamer Ferenc Liebig seinen ersten Kurzgeschichtenband veröffentlicht
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Der letzte Satz ist das Entscheidende in einer Geschichte, sagt Ferenc Liebig. Obwohl er weiß, dass es immer wieder heißt, allein auf den ersten Satz kommt es an, ist es bei ihm die Pointe zum Schluss, die den Leser aus der Bahn werfen und zum Nachdenken anregen soll. So wie in seiner Kurzgeschichte „Varieté“, die von einer Artistin handelt, die erst im Alter Erfolg auf der Bühne hat. In ihrer Jugend war sie nur das Vorprogramm vom „Kleinsten Mann der Welt“. Jetzt, wo die Falten in ihrem Gesicht immer mehr werden, musste sie sich etwas Neues überlegen. Als Hilfsmittel für ihre neue Show stehen ein Korb mit Gemüse und eben der kleinste Mann der Welt bereit. Doch weder jongliert sie mit dem Gemüse noch macht sie akrobatische Übungen mit dem kleinsten Mann. Nein, sie führt sich zuerst eine Gurke, dann eine Aubergine und später den kleinen Mann vaginal ein. Der letzte Satz in „Varieté“ lautet: „Die Hitze der Scheinwerfer macht sie glücklich, die ungläubigen Blicke zu einer Königin.“
„Manchmal mache ich mir schon Sorgen, was der Leser von mir als Person hält“, sagt Ferenc Liebig im Gespräch. Der 31-jährige Potsdamer wirkt unauffällig, fast ein wenig schüchtern mit den braunen, gutmütigen Augen und seinem bartlosen, weichen Gesicht. Ferenc Liebig trinkt ein Bier, sitzt gelassen da und genießt die Sonne. „Aber ich finde ,Varieté’ ist eine meiner besten Geschichten.“ Zusammen mit 25 weiteren Erzählungen ist sie jetzt in seinem ersten Buch „Und so viel bleibt unbeantwortet“ (Verlag epubli, 13 Euro) erschienen. Die Idee zu „Varieté“ kam dem ehemaligen Chemiestudenten eines Abends, als er den Film „Mullholland Drive“ von David Lynch geschaut hat. In dem Thriller sieht man unter anderem eine Frau auf der hoffnungslosen Suche nach Erfolg in Hollywood, es spielen Männer in Zwergengestalt mit.
Es sind nicht immer nur solche Eindrücke, die Liebig zu seinen Erzählungen inspirieren. Oft sind es Alltagssituationen, die etwas in ihm anstoßen. Dann schreibt er Geschichten, die nicht so skurril sind wie „Varieté“, sondern realistischer und dadurch auch viel authentischer wie beispielsweise „Monster“ und „Fuchsbau“. Hier geht es um alltägliche Gewalt – cholerische Männer, unterlegene Frauen – Hoffnungslosigkeit und Alkoholismus. „Ich erzähle Geschichten, die im wirklichen Leben unter den Teppich gekehrt werden“, sagt Liebig. Selbst sei er aber in liebevollen Verhältnissen aufgewachsen. „Ich verarbeite damit keine Traumata.“ Aber er liebe es, beim Schreiben in die verschiedenen Rollen einzutauchen. Und in jeder seiner Geschichten stecke eine Nachricht, eine Botschaft, manche sind leicht, andere schwieriger zu erkennen.
In „Nicht zu reparieren“ beweist Liebig sein feines Gespür für die Sprache. Die Geschichte, erzählt aus der Perspektive einer Frau, handelt von einer verlorenen, hoffnungslosen Liebesbeziehung. Ein Ausflug ans Meer wird mit Liebe zum Detail beschrieben. Der Liebhaber ist ein entwurzelter Dichter, den das Leben hart werden ließ. Passagen, wie „Zu viel ich bist du und zu wenig wir“ und „Auch wenn ich nicht beschreiben kann, warum ich zwischen dir und mir eine unumgängliche Entfernung spüre, obwohl du nicht mal drei Schritte entfernt bist, empfinde ich die große Kluft, dieses zerrüttete Verhältnis wie eine ungesprochene Sprache“ zeigen Ferenc Liebigs Fähigkeit den Leser durch Wort zu berühren.
Ferenc Liebig porträtiert seine Figuren mit einfachen, klaren Worten sehr natürlich und mit hohem Wiedererkennungswert. Sein Stil ist dabei knapp und schnörkellos. „Ich schreibe keine Geschichten, in denen 20 Seiten lang ein Haus beschrieben wird“, sagte Liebig. Vielmehr findet er es spannend, wenn jeder mit der eigenen Fantasie die Geschichte ausschmücken kann. Der Leser soll aktiv an dem Geschriebenen teilnehmen und sich irgendwann mitten im Kampf um Dominanz, Respekt und Anerkennung wiederfinden.
Seit er 14 Jahre alt ist, liebt Ferenc Liebig das Schreiben. Alles begann im Deutschunterricht. Am meisten hat Liebig damals die Diskussionen auf seine Aufsätze geliebt. Die haben ihn motiviert, weiterzuschreiben. Wenn er sich an den Rechner setzt und eine neue Kurzgeschichte zu schreiben beginnt, weiß er nicht genau, wie die Geschichte enden wird. „Ich habe ein ungefähres Bild, in welche Richtung es gehen soll und wie lang der Text wird. Den Rest entscheide ich, während ich tippe.“ Seit drei Jahren widmet sich der Autor den Kurzgeschichten. Fast gleichzeitig hatte er auch die Idee für das Buch. „Ich wollte noch nie für die Schublade tippen.“ Aus insgesamt 70 Kurzgeschichten hat er dann schließlich für „Und so viel bleibt unbeantwortet“ ausgewählt. Auch wenn er viel Zeit und Energie in das Schreiben investiert, will er das nicht zu seinem Beruf machen. „Ich trenne mein Leben als Autor strikt von meiner beruflichen Arbeit.“ Das soll sich auch in Zukunft nicht ändern. Das Schreiben von Geschichten sei auf jeden Fall eine große Leidenschaft. Aber finanziell wolle sich Liebig darauf nicht verlassen.
Seine Geschichten sollen genauso gelesen werden, wie sie geschrieben sind. Ohne Hintergedanken. Kunst müsse nicht immer einen großen Auftrag haben, nicht den Leser zu einem anderen Menschen machen, sagt Liebig. Es reiche, wenn man beim Lesen für einen Moment innehält, sich selbst reflektiert. „Wir leben in einer verwöhnten Welt, in der trotzdem immer etwas fehlt, in der wir Menschen nie zufrieden sagt“, sagt Ferenc Liebig. Wenn eine seiner Geschichten diese Tatsache dem Leser wieder bewusst macht, dann hat er schon viel erreicht. Elisabeth Kropp
Elisabeth Kropp
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