Von Undine Zimmer: Der Alchemist
Die Kraft des Sandes: Peter Kurgan bringt die Energie der Wüste in seine Bilder
Stand:
Am Anfang war nur der Sand in seinen Händen. Auf der Feuerinsel Lanzarote spürte er vor 20 Jahren zum ersten Mal die Wärme der rotbraunen Vulkanasche.
Heute bringen ihm Bekannte von ihren Reisen Sand und Gestein aus aller Welt mit. Graugelber Sand aus Afghanistan, heiliger Sand aus Izmir, blauer Sand aus Ägypten, polarweißer Sand aus Namibia. Vor kurzem hat jemand eine Plastikflasche mit rötlichem Sand vom Tafel-Berg vor die Tür seiner Galerie in der Mittelstraße 34 abgelegt: ohne Absender, aber mit einem Zettel, auf dem der Herkunftsort vermerkt ist.
Viele spüren die Energie in Peter Kurgans Bildern, schreiben ihm von Veränderungen, die stattgefunden haben, seit seine Bilder in der Wohnung hängen. Eine seiner Käuferinnen bescheinigte seinen Bildern sogar heilende Wirkung, sagt Kurgan.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat sich der Potsdamer Künstler und Galerist mit den Energiepunkten dieser Welt beschäftigt. Energiepunkte, das sind für Kurgan zum Beispiel Pyramiden. Auch Steine, Mineralien, jahrhundertealte Flechten, der Sand und die Vulkanasche strömen für ihn etwas Positives und Beruhigendes aus. Durch die Materialien gelangt die Energie in seine Bilder. „Sand ist ja ein Speicher.“ Peter Kurgan hat Respekt vor dem Sand, besonders vor dem aus der Wüste Afghanistans. „Wer weiß, wer da schon durchgelaufen ist, eine Elefantenfamilie, Hannibal vielleicht. Das sind Geschichten, die der Sand für sich behält.“ 30 bis 40 Sorten hat Kurgan verarbeitet. „Jeder Sand hat eine andere Farbe und eine andere Frequenz, auf die wir Menschen reagieren“, erklärt er. „Es sind nicht alle Menschen bereit, das an sich heranzulassen, aber viele. Mir wird oft ganz heiß, wenn ich den Sand aus dem Grand Canyon verarbeite. Manchmal bekomme ich auch heiße Ohren, dann muss ich kurz rausgehen.“
Kurgan wartet nur darauf, dass man ihn nach den Motiven auf seinen Bildern befragt. Es geht um Augenblicke und zwischenmenschliche Situationen, um den Kreislauf von Trennungen und Begegnungen im Leben und die Sehnsucht nach Harmonie mit einem Partner. Wie auf dem großen Bild, das über dem Sofa hängt. Rechts unten ist das perfekte Paar zu sehen. In der Mitte zeigt Kurgan auf eine weiße Gestalt, die vor einem ebenfalls weißen Buch steht. Das Lebensbuch oder Buch der Weisheit, wie er es nennt, ist ein wiederkehrendes Motiv in seinem Werk. „An dieser Stelle geht es um den Moment des Zuhörens“, sagt Kurgan. Links zeigt er auf ein ungleiches Paar. Einer steht höher als der andere. „Diese beiden werden sich trennen. Aber hier, hinter dieser Figur, wartet eine weitere, die auf gleicher Höhe ist. Die beiden werden sich finden.“ In Kurgans Bildgeschichten steht hinter jeder Figur eine weitere, die sie auffängt.
15 Jahre hat Kurgan experimentiert. Die zündende Idee zur Perfektionierung seiner Technik traf ihn unerwartet. Im Traum. Anstatt wie früher den Sand nach Farben zu sortieren, sah er sich selbst dabei zu, wie er Sand nach Körnung malte, den feinsten Sand zuunterst auftrug, darauf den gröberen. Dieses erträumte Verfahren wendet er bis heute an. Und tatsächlich leuchten die gebrannten Sandbilder im Vergleich zu seinen ersten Sand-Farbe-Mischversuchen jetzt viel kräftiger.
Bestimmte Geheimnisse seiner Technik, die Bindemittel und exakten Brennzeiten, hütet er wie einen Schatz. „Wenn man den Sand mit Farben mischt, verliert er seine Energie und seine Kraft“ erklärt der Maler. Alles müsse genau stimmen, damit der Sand auf dem Untergrund haftet. Kurgan verrät nur so viel: Er brennt seine Bilder in einem speziell angefertigten Ofen, der mit einem Unterdruck arbeitet. Durch den Druck wird auch der Sand in bestimmte Formen gedrängt oder verdichtet und der feinere Sand drückt sich durch den gröberen an die Oberfläche. Dadurch entsteht diese besondere Räumlichkeit in den Bildern. Nach vielen Jahren des Experimentierens weiß Kurgan auch, wie sich der Sand während der verschiedenen Herstellungsprozesse verhält. Vor Nachahmern seiner Technik hat er keine Angst. „Es gibt zwar viele, die etwas mit Sand machen, doch mein Herangehen ist einmalig. Fälschungssicher sind in jedem Fall die Geschichten in den Bildern. Das sind ja meine Geschichten.“
Bis zu 20 Schichten sind auf einem Bild aufgetragen. Unter der obersten liegen weitere komplette Bilder versteckt. Erst wenn sich die Lichtverhältnisse ändern, in der Abenddämmerung oder im Kerzenlicht, werden Figuren und Räume für den Betrachter sichtbar, die in den unteren Lagen gemalt sind. Einige Sandpartikel glitzern und leuchten, wenn sich das Licht in ihnen bricht. Manchmal dauert es eine ganze Weile, bis man alle Figuren erkennt. „Man muss sich schon ein bisschen konzentrieren,“ sagt der Maler und zeigt auf versteckte Details.
Auf seinen Bildern kehren bestimmte Elemente immer wieder. Ein weißer Lichtstrahl von links oben und dieses weiße aufgeschlagene Buch, das meistens in den Gewölben irgendwo in der unteren Hälfte auf dem Boden liegt. Es symbolisiert das Leben, das Kurgan wie ein Buch versteht und in dem die Figuren in seinen Bildern lesen können, an welcher Stelle ihrer Geschichte sie sich gerade befinden.
Das Weiß für den Lichtstrahl und das Buch gewinnt er aus dem feinen weißen Polarsand aus Namibia und aus Kreide. Das anthrazit glänzende Schwarz ist Lanzarotes Vulkanasche. Sogar ein Neonorange kann Kurgan aus den feingemahlenen Pulvern aus der Provence, gemischt mit Mexikosand und etwas Vulkanasche herstellen. Das helle kräftige Blau für den Himmel und die Gewänder der Figuren besteht aus gemahlenen Halbedelsteinen.
Manchmal ist Kurgan selber überrascht von den Dingen, die auf seinen Bildern sichtbar werden. Wenn er alleine in seiner Galerie sitzt, im milden Lichtschein seiner Kristalllampe, dann entdeckt selbst er noch Räume, Figuren und Details in seinen Bildern. Sie sind fast wie ein Orakel.
, ine Zimmer
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