Kultur: Der Aufstieg einer Unternehmerfamilie
Joachim Scholtyseck stellte sein Buch über das Wirtschaftsimperium der Quandts vor
Stand:
Es ist die Frage der Schuld, die bei diesem Thema immer wieder gestellt wird. Und so fragte auch Alexander Gauland am Sonntag in der Matinee des Brandenburgischen Literaturbüros, ob der Unternehmer Günther Quandt schuldig geworden sei durch seine Verstrickungen im Nationalsozialismus. Eingeladen war an diesem Vormittag Joachim Scholtyseck, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bonn und Autor des Buches „Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie“ (C.H. Beck, 39,95 Euro). Und es war Scholtysecks bedachte, zurückhaltende und abwägende Art bei der Beurteilung von Günther Quandt, die diese Matinee zu einem Lehrstück machte. Ein Lehrstück darüber, dass bestimmte Kategorien wie Schuld oder Unschuld, vor allem aus der Rückschau, nicht immer hilfreich sind.
Er sei Historiker und kein Staatsanwalt, sagte Scholtyseck auf die wiederholte Nachfrage Gaulands nach der möglichen Schuld von Günther Quandt. Seine Aufgabe bestehe im Erklären und Einordnen historischer Zeitläufte, dem Offenlegen bestimmter Voraussetzungen, die zu bestimmten Entwicklungen, bestimmten Verhalten geführt hätten, damit auch nachfolgende Generationen diese Vorgänge nachvollziehen können.
Im Grunde waren diese Worte nicht notwendig. Auf dem Tisch vor Gauland und Scholtyseck lag das Buch über die Quandts. Über 1000 Seiten dick und wie Scholtyseck es selbst nannte, ein regelrechter Ziegelstein. Und der überzeugendste Beweis für das, was die Arbeit eines Historikers ausmacht. Detailliert und immer einordnend zeichnet Scholtyseck den Aufstieg des Unternehmens der Quandt nach, der Mitte des 19. Jahrhunderts im brandenburgischen Pritzwalk seinen Anfang nahm. Als Tuchfabrikant begann hier Emil Quandt den Grundstein für einen unternehmerischen Erfolg zu legen, den sein Sohn Günther mit Hartnäckigkeit, entsprechendem Wagemut und dem Gespür für die richtigen Investitionen in erstaunliche Dimensionen beförderte. Ein Patriarch, der in vielen Bereichen auf Expansion setzte und so das Familienunternehmen in zahlreiche Bereiche der Industrie verzweigte. Ob Kaiserreich oder Weimarer Republik, ob Nationalsozialismus oder Nachkriegszeit mit folgendem Wirtschaftswunder, fast unbehelligt von diesen historischen Brüchen gelang es Günther Quandt, der auch mehrere Villen in Babelsberg am Griebnitzsee besessen hat, sein Familienunternehmen zu einem Wirtschaftsimperium auszubauen, dessen Vermögen heute auf über 30 Milliarden Euro geschätzt wird.
Was die Schuldfrage von Günther Quandt in der Zeit des Nationalsozialismus betrifft, so sagte Scholtyseck, dass es für einen Unternehmer, der im Dritten Reich wirtschaftlich überleben wollte, unrealistisch gewesen wäre, sich zu weigern, Zwangsarbeiter aufzunehmen. Das sei nicht als Entschuldigung zu verstehen, doch müsse das in den historischen Kontext eingeordnet werden. Was Quandt jedoch vorzuwerfen sei, ist dessen Kampf mit Hilfe mehrerer Rechtsberater nach 1945 so wenig wie möglich finanzielle Entschädigung an die ehemaligen Zwangsarbeiter zu zahlen. Und auch die Reflexionen über die eigenen Verstrickungen im Nationalsozialismus vermisst Scholtyseck in den Memoiren des Industriellen. Doch konnte er mit seinem Buch zeigen, dass der Reichtum der Quandts nicht durch das Blutgeld der Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Den Grundstein dafür hatte Günther Quandt schon viel früher gelegt. Dirk Becker
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: