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Kultur: Der Bausoldat und der Schriftsteller

Stefan Berg stellte sein Buch „Landgang. Ein Briefwechsel mit Günter de Bruyn“ in der Villa Quandt vor

Stand:

„Zu Ihrem Entschluß, Bausoldat zu werden, meine herzliche Gratulation! Sagen Sie nicht: fauler Kompromiß – ich finde Ihren Entschluß sehr achtenswert“, schreibt Günter de Bruyn im November 1982 an Stefan Berg. Obwohl der damals 18-jährige Berg um die nachteiligen Auswirkungen auf seine berufliche Ausbildung wusste, hatte er sich entschieden, seinen Wehrdienst bei der Nationlen Volksarmee (NVA) der DDR nicht an der Waffe, sondern als Bausoldat abzuleisten. Dass er einem bekannten Schriftsteller seinen Entschluss mitteilte, geschah nicht von ungefähr. Knapp ein Jahr zuvor hatte de Bruyn auf einem von der SED inszenierten und der Staatssicherheit überwachten, deutsch-deutschen Schriftstellerkongress in Ostberlin in einem Vortrag auch für die Einführung eines sozialen Friedensdienstes plädiert. Dafür hatte sich Stefan Berg schriftlich bei Günter de Bruyn bedankt, woraus sich bald eine Brieffreundschaft entwickelte. Am Mittwochabend wurde dieser unter dem Titel „Landgang“ (S. Fischer Verlag, 17,99 Euro) gerade erschienene Briefwechsel in der sehr gut besuchten Villa Quandt vorgestellt.

Es sind die vielen meist lakonischen und nie wehleidigen Schilderungen des peinlich genau durchgeplanten Tagesablaufs mit all dem Drill, den Strafen und den Schikanen, die den Alltag des Bausoldaten Berg beschreiben. Auf der Insel Rügen stationiert und dort in einer Zeltstadt untergebracht, muss er als Schichtarbeiter Gräben ziehen, Löcher buddeln oder Wege anlegen. Dem Schauspieler Tobias Langhoff, der diese Briefe seines langjährigen Freundes Berg vorliest, gelingt es dabei hervorragend, die aufsteigende Wut, den Spott über den Kleingeist seiner Vorgesetzten, aber auch die Ohnmacht angesichts der täglichen Beengtheit stimmlich zu transportieren. „Jeder versucht, sich auf seine Art fortzudenken“, heißt es einmal.

Wie doppelt eingesperrt habe man sich in der Armee der DDR gefühlt, sagt Stefan Berg, der seinerseits die Antwortbriefe von Günter de Bruyn vorliest. Stets ermutigt und bekräftigt der Schriftsteller darin den jungen Mann und schickt ihm auch regelmäßig Bücher. Auch von den vielen Eingaben, in denen sich Berg etwa über die Art der Unterkunft beschwerte, erfährt Günter de Bruyn in den Briefen. Und selbst von dem Honecker-Bild, das Stefan Berg im Klubraum von der Wand nimmt, um dort einen Rilke-Abend zu veranstalten. Dass er damit ins Visier der Stasi geraten würde, habe er zwar damals schon geahnt, sagt Berg. Dass gegen ihn zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eine „Operative Personenkontrolle“ (OPK) und bald darauf ein „Operativer Vorgang“ (OV) durchgeführt wurde, dass man also auch die Briefe von ihm und Günter de Bruyn regelmäßig abfing und auswertete – dieses erst viele Jahre später bei der Akteneinsicht entdeckte Ausmaß habe ihn dann doch sehr überrascht. Diese Stasi-Protokolle werden im Buch zitiert, sie begleiten quasi den Briefwechsel. So scheint es, als mische sich auf fast unheimliche Weise plötzlich eine dritte Stimme in den Dialog. Eine Stimme, die dank der Vortragskunst Tobias Langhoffs eigenartig paranoid und weltfremd klingt, die aber vor allem zeigt, in welcher Gefahr Stefan Berg damals schwebte.

Mehrmals wird Stefan Berg, der heute als Journalist in Berlin lebt, vom Publikum dann auch für seinen Mut gelobt. Einige Gäste berichten auch von ihren eigenen Erfahrungen als Bausoldat. Dass der Briefwechsel „Landgang“ somit nicht nur ein wertvolles zeitgeschichtliches Dokument, sondern ein im besten Sinne wichtiges Buch ist, wird an diesem Abend deutlich. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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