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Kultur: Der den Helm aufhat

So ehrlich, knapp und berührend: David Greigs „Der Architekt“ im Hans Otto Theater

Stand:

Vater prahlt, der Sohn erträgt’s. Vater scheucht, die Tochter folgt. Vater erklärt die Welt und die Familie tut, als würde sie’s glauben. So die Gemengelage im Stück des Schotten David Greig von 1996. Leo Black, der titelgebende „Architekt“, hat sich die Welt nach seinen Vorstellungen gebaut und weigert sich zu sehen, dass sie Risse bekommen hat. Die Familie klafft auseinander: „Nur n'' paar Huppel“, sagt Sohn Martin (Simon Brusis) als der Vater ihm stolz sein aktuelles Modell zeigt. „Is gekauft“, sagt Frau Paulina (Rita Feldmeier), als er das Abendessen lobt. „Ich habe Durst“, wird die Tochter Dorothy (Franziska Melzer) sagen, wenn er später bei ihr nach Bestätigung sucht.

Peter Pagel als Architekt Leo Black ist beharrlich und köstlich unterschwellig komisch blind all dem gegenüber. Er zweifelt nicht, dass er derjenige ist, der den Helm aufhat in der Familie. Die Selbstverständlichkeit, mit der er die Bauhelme in der ersten Szene verteilt, zeigt: Das hat er immer gemacht und glaubt, er wird es immer tun. Dass er unter seinem hohen weißen Helm dabei selber arg verloren aussieht, bemerkt er nicht. Kichert in sich hinein, stakst selbstgefällig über die Bühne und weigert sich, die Petition einer Aktivistin (Andrea Thelemann) anzuerkennen, die kommt, um ihm mitzuteilen, dass eine seiner Konstruktionen - das soziale Wohnungsbauprojekt „Eden Court“ - abbruchreif ist. Dem Sohn untersagt er das Spielen mit seinen geliebten Modellen. „Bumm“, sagt der nur. Und hat die Faust in die Bühnenwand.

Spätestens als die Wand auf der Bühne zusammenfällt, ist klar, hier wird einiges krachen. Ein abbruchreifes Haus – am Ende wird’s gesprengt – ist auch Blacks Familie. In kurzen, punktgenau geschriebenen Szenen, oft am Rand zur Komik, gewährt der Greig Einblick in dieses bröckelnde Gebäude: Wie Mutter Paulina das Essen verweigert und sich vor den Berührungen ihres Mannes ekelt. Wie Sohn Martin trotz der herzerweichenden Annäherungsversuche eines Stricherjungen (Eddie Irle) unfähig ist, Nähe aufzubauen. Wie Tochter Dorothy, immer wieder von inneren Krämpfen geschüttelt, als Pin-up-Girl posiert und sich einem Trucker (Marcus Kaloff) an den Hals schmeißt. Die Szenen sind Schlaglichter, oft nur angerissen. Vor der Pause verdichten sie sich zu einem mitreißenden Puzzle aus den verschiedenen Welten, in denen die Protagonisten suchen, was sie zu Hause nicht finden. Halt, Nähe und, irgendwie, sich selbst.

Für ein durch kurze Szenen gelenkiges Stück Jessica Rockstroh hat eine gelenkige Bühne gebaut: ein weißer Quader, eine Art Baukasten, der rundum bespielt werden kann. Die verschiedenen Orte (Toilette, Lkw, Bar) drehen sich in die Szene hinein. Was im ersten Teil rhythmisch bestens funktioniert, wird im zweiten zur Falle: Die Drehbühne kommt quasi ins Rudern, schaukelt sich von einer Szene zur nächsten anstatt einem inneren Rhythmus zu folgen. Was wie eine Schwäche der Regie aussieht, ist auch eine des Stücks. Im ersten Teil werden Risse angedeutet, angeschnitten; im zweiten wird erklärt, moralisiert, kontextualisiert. Hier will der Autor zeigen, dass er ein sozial, gesellschaftlich Schreibender ist, will (zu Recht) den sozialen Wohnungsbau kritisieren, tut das aber auf Kosten des Stücks. Es zerfasert in Architekturdebatten.

Wir begegnen auch der Aktivistin wieder, die jetzt auspackt: „Hier geht es darum, wer bestimmt.“ Und: „Sie sind nicht Gott, Black.“ Obwohl Andrea Thelemann das sachlich macht, nie überzogen, fast zurückhaltend – hier, beim Versuch, auch noch Sozialdrama zu sein, wird das Stück, das in seiner „Familienpolitik“ so ehrlich, knapp, berührend war, fast geschwätzig. Isabel Osthues, die als Regisseurin mit einem wunderbaren Gefühl für Rhythmus und Bewegung beginnt, fügt sich und lässt die Inszenierung kraftlos auspendeln. Dennoch: Sie hat eine Menge zu erzählen. Über Männer die sich weigern den Helm abzugeben, Frauen die sich das nicht mehr gefallen lassen, Kinder die sich das nicht mehr anhören. Und Illusionen, die dabei letztlich allen verloren gehen wie den Schaufensterpuppen auf der Bühne die Gliedmaßen. Lena Schneider

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