Kultur: „Der deutsche Tanz ringt um Verstehen“
Die Zukunft kann kommen: Neues Haus, 630 000 Euro von der Bundeskulturstiftung, spannende Konzepte. Wenn nur die üblichen Geldsorgen nicht wären. Ein Besuch in der fabrik Potsdam
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Laurent Dubost, der Sprecher der Tanzfabrik, führt durch das neu sanierte Haus. Bauarbeiter laufen mit Werkzeug durch frisch geweißte Gänge. Es geht zur großen Bühnenhalle mit der Fensterreihe unter der Decke und dem schönen Holzboden. Und weiter durch die Studios, die wegen der neuen Fluchtwege kleiner geworden sind. Auch hier Holz auf dem Boden. Trotzdem sieht alles fast wie früher aus. Nur irgendwie mehr in Ordnung gebracht. Und schöner. Die Kneipe hat jetzt einen Zickzacktresen aus Beton. Im Büro mit den großen Fenstern gibt es dann Kaffee. Gegenüber von Dubost hat die künstlerische Leiterin der fabrik, Sabine Chwalisz, Platz genommen.
Schon eingelebt?
Chwalisz: Es ist noch alles ganz roh hier. Bestellte Schreibtische, die für das Büro eigentlich zu groß sind. Solche Sachen. Wir müssen uns noch zurechtfinden. Seit Januar sind wir im Haus. Gestern war offizielle Übergabe. Jetzt können wir endlich richtig loslegen.
Noch bis vor kurzem hat das Tanztheater eine große Krise durchlitten, kein Geld, kleine Lobby. Und plötzlich gibt es den Tanzplan Deutschland der Bundeskulturstiftung. 12,5 Millionen Euro für den deutschen Tanz in den nächsten fünf Jahren. Die fabrik Potsdam bekommt von dem Kuchen satte 630 000 Euro ab. Was ist passiert? Warum ist der Tanz auf einmal so im Fokus?
Dubost: Man hat einen Mangel erkannt. Im internationalen Vergleich hatte der Tanz als Kunstsparte in Deutschland bisher eine geringere Bedeutung. Dabei steckt gerade im Tanz viel Potenzial.
Chwalisz: Es gibt den Wunsch nach einer Neudefinition von Kunst in der Gesellschaft. Dem Theater wird nachgesagt, dass es tot ist, dass es nichts mehr zu sagen hat, keinen politischen Anspruch mehr erfüllt. Alles, was auf der Bühne vorgeführt wird, steht unter einem Rechtfertigungszwang, im Vergleich zum kommerziellen Fernsehen, zum Kino. Wenn Theater viel teurer ist, kommt natürlich die Frage auf, was es leisten kann? Dabei lässt sich Livekunst nicht an Medienkunst messen. Aber das Theater muss sich entwickeln und neu definieren, sich auseinander setzen mit den Medien.
Und wie kommt dabei der Tanz ins Spiel?
Chwalisz: Tanz ist viel radikaler in der Sache als Theater. Und man hat endlich erkannt, dass zeitgenössischer Tanz eine Menge bewegt.
Nachdem viele Tanztheater an städtischen Häusern abgewickelt wurden ...
Chwalisz: Jetzt werden mehr die freien Bereiche, die experimentellen Künstler gefördert, fehlende Strukturen aufgebaut und Projekte entwickelt.
Sind es die großen Namen, die den Wandel angestoßen haben, Sasha Waltz, William Forsythe, auch Royston Maldoom?
Chwalisz: Sicher haben sie dazu beigetragen. Der Choreograph Forsythe zum Beispiel hat ganz wichtige Impulse für den deutschen Tanz gegeben. Aber das Engagement der Großen ist auch auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. An der Basis passiert enorm viel. Und das soll mit dem Tanzplan auch gefördert werden, wie die Pina-Bausch-Schülerin Reinhild Hoffmann, die im Kuratorium sitzt, sagt. Es geht um neue Strukturen, um so etwas wie die Urbewegung und die Frage: Was ist eigentlich zeitgenössischer Tanz? Mit welchen Produktionsbedingungen und Methoden kann man ihn fördern?
Forsythe sagt, dass der Tanzsaal politisch ist. Würden Sie das unterschreiben?
Chwalisz: Wenn mit politisch all das gemeint ist, was in das Gesellschaftliche hinein wirkt, was Auseinandersetzung sucht und die Bereitschaft, sich auszutauschen, dann ja.
Die fabrik nennt sich inzwischen Internationales Zentrum für Tanz- und Bewegungskunst. Seit Jahren planen Sie, Tanzforschung nach Potsdam zu holen. Ist das Artist-in-Residence-Programm, das nun von der Kulturstiftung und dann noch einmal mit der gleichen Summe von Stadt und Land gefördert wird, das, was Sie sich vorgestellt haben?
Chwalisz. Ja, das entspricht genau unserem Konzept für das Zentrum. Wir wollten Ausbildung und Forschung für Choreographen und Tänzer. Und genau das können wir mit dem neuen Programm nun umsetzen. Artist-in-Residence ist so etwas wie eine Pufferzone für fertige Künstler, die sich neu orientieren, die Tanz analysieren und sich ausprobieren wollen, auch im Gruppenprozess.
Ein Stipendium als Pufferzone?
Das Programm ist ein Aufenthaltsstipendium, bei dem am Ende kein Stück heraus kommen muss. Auch Irrwege sind in Ordnung, können manchmal Grundlage oder Vorbereitung für eine andere Produktion sein. Künstler haben die Möglichkeit, ohne den üblichen Produktionsdruck zu arbeiten. Und das ist gut so. Man braucht Momente der Ruhe, um kreativ sein zu können. Noch in diesem Jahr werden zwei Langzeitresidenzen an Künstler vergeben.
Auch inhaltlich gibt es Neues.
Chwalisz : Ja, wir planen zum Beispiel eine Zuschauerschule mit Künstlergesprächen, Miniworkshops und Werkeinführungen.
...in denen die Stücke erklärt werden sollen? Spricht denn ein Tanzstück nicht für sich?
Dubost: Vielen ist Tanz zu abstrakt.
Chwalisz: Wir haben den Eindruck, dass zeitgenössischer Tanz bei Zuschauern nicht verankert ist, anders als in der Musik, wo die Grundlagen in der Schule vermittelt werden. Oft kommen Zuschauer aus einer Aufführung und sagen: „Ich hab vom Tanzen ja keine Ahnung, aber...“ Oder „Ich hab die Geschichte nicht erkannt“. Dabei muss man ein Stück nicht verstehen, man muss keine Geschichte sehen.
Sondern?
Dubost: Es kommt darauf an, ein anderes Bewusstsein von Tanz zu bekommen, wahrzunehmen, dass es ganz andere Aspekte gibt, die nachwirken: Emotionen, die Schönheit der Bewegungen. Wir wollen dem Publikum Hilfe anbieten, sich Tanz anzueignen, sich mit Tanz auseinander zu setzen.Wir versuchen den Zuschauern Offenheit zu vermitteln. Im Tanz kann man Erfahrungen sammeln, die auch Impulse für den Alltag geben.
Sie denken sogar an Einzelgespräche von Zuschauern und Künstlern. Sind denn die Tänzer und Choreographen überhaupt für so einen engen Austausch bereit?
Chwalisz: Es gab auch bisher schon Gespräche nach den Aufführungen. Unsere Erfahrung ist, dass die Künstler die Auseinandersetzung mit dem Publikum suchen. Sie ist Teil des Produktionsprozesses: Eine Aufführung ist ja nie wirklich fertig, bei jeder Präsentation kann sie ganz anders sein. Ein Gespräch kann da sehr bereichern.
Sie sind dabei, Stücke für die Tanztage zu sichten. Ist der zeitgenössische Tanz eher gesellschaftskritisch oder eher Seelenspiegel?
Chwalisz: Internationaler Tanz ist oft sehr emotional. In Deutschland hingegen geht die Entwicklung hin zur Konzeptkunst. Es gibt eine Idee, die wird auf die Bühne übertragen, mit viel Text und politischen Bezügen zu gesellschaftlichen Themen. Manchmal denke ich, dass das eine wirklich sehr deutsche Herangehensweise ist.
Worum geht es?
Zum Beispiel um das Thema Arbeit. Die Künstler tanzen persönliche Erfahrungen und Erlebnisse. Aber nicht als Therapie, sondern abstrahiert, als Angebot einer Wiedererfahrung für das Publikum. Das Persönliche wird auf sinnliche Weise zum gesellschaftlichen Thema.
Man sagt dem deutschen Tanz nach, dass er weniger Spaß ausdrückt als zum Beispiel brasilianischer Tanz.
Chwalisz: Ich selbst hab viel Spaß beim Tanzen. Aber da ist schon was dran. Die deutsche Mentalität ist eine, die um Verstehen ringt, die sich auf existenzielle Suche begibt. Im durchaus positiv gemeinten Sinn. Deutschen Tänzern ist es wohl eher fremd, nur aus Spaß zu tanzen. Wenn sie auch oft sehr lustvoll tanzen. Die Herangehensweise hier und dort ist anders. Und sicher färbt es ab, wenn man von Kälte, Nässe und Grau umgeben ist. Aber man kann ja nicht einfach sagen: Ich wäre gerne so locker und tanzfreudig wie ein Brasilianer.
Dubost: Die Kultur spielt da eine große Rolle. Tanz ist im brasilianischen Alltag ganz anders verankert.
Und da versuchen Sie jetzt mit dem kürzlich gestarteten Projekt Tanz in Schulen, das Sie mit acht Potsdamer und Brandenburger Einrichtungen auf die Beine gestellt haben, etwas zu ändern?
Chwalisz: Ja, wir versuchen, Tanz zu etwas Selbstverständlichem im Alltag zu machen. Man eignet sich die Welt ganz anders an, wenn man seinen Körper kennt und Lust hat, sich in ihm zu bewegen. Und diese Erkenntnis ist verschütt“ gegangen. Tanz ist Kreativität, Experiment, Fantasie und eine sehr anarchische Form der Weltaneignung. Anders als beim Sport gibt es kein klares Ziel, auf das man zusteuert, sondern stattdessen Freiräume, die es zu füllen gilt.
Dubost: Das Interesse für Tanz wächst stetig. Das neue Jahrhundert wird körperlicher. Das Denken in den 60ern hat uns gesellschaftlich freier gemacht. Jetzt beginnt man, sich auf die Bedeutung des Körpers zurück zu besinnen. In einer unsicheren Gesellschaft will man selber flexibler im Körper werden. Wir spüren diesen Trend ganz deutlich: Unsere Kindertanzkurse haben lange Wartelisten.
Ist der Dauernotstand für Tanz und die fabrik also endlich vorbei?
Chwalisz: Schön wär''s. Es bleiben genug Sorgen. Da ist einmal der Klops Schiffbauergasse, der sich neu finden muss mit seinen Kultureinrichtungen, die jetzt nach und nach in ihre neuen Häuser ziehen. Der Standort braucht eine inhaltliche Gestaltung. Und dann sind nach wie vor die Geldsorgen. Finanziell abgesichert ist ja jetzt nur das Artist-Stipendium, aber die programmatische Arbeit steht nach wie vor auf der Kippe. Wir wissen immer noch nicht, wie wir die Potsdamer Tanztage im Mai finanzieren.
Dubost: Aber trotzdem: Wir haben Lust, hier zu sein und freuen uns auf das, was am Standort entsteht.
Chwalisz: Wir gehören ja glücklicherweise zu den ersten, die wiedereröffnen: am 20. April. Und wir werden das mit einem zweiwöchigen, sehr spannenden Programm machen: einem Workshop mit der bekannten Amerikanerin Lisa Nelson, der fabrik-Premiere „Taxi for Maxi“, einer Video-Tanz-Performance aus Belgien sowie Konzerten und Partys.
Das Gespräch führte Marion Hartig
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