Kultur: Der Facebook- Revolution traut er wenig zu Peter Scholl-Latour gastierte im Nikolaisaal
Es ist nicht immer leicht, ihm zu folgen, auch wenn er meistens klare Worte spricht. Wenn Peter Scholl-Latour in bewährter Art und Weise den Menschen die politischen Wirren auf der Welt erklärt, scheinen seine Überlegungen und Gedanken stets endlosen Ketten entnommen.
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Es ist nicht immer leicht, ihm zu folgen, auch wenn er meistens klare Worte spricht. Wenn Peter Scholl-Latour in bewährter Art und Weise den Menschen die politischen Wirren auf der Welt erklärt, scheinen seine Überlegungen und Gedanken stets endlosen Ketten entnommen. So reichhaltig sind seine Erfahrungen, so riesig ist sein Wissensschatz, dass er beherzt darin herumspringen kann, dabei Monologe hält und gern vom Hundertsten ins Tausendste kommt, seine nicht enden wollenden Sätze plötzlich in eine amüsante Anekdote münden lässt oder oft auch einfach vernuschelt, so als überlagerten sie sich. Unglaublich dieser Redefluss bei einem Herrn, der längst das Greisenalter erreicht hat und dennoch, auf jedes Stichwort hin, gleich so eine Vitalität versprüht. Ein Orakel fast, ein Kuriosum.
Pünktlich betritt die Reporterlegende Peter Scholl-Latour am Mittwochabend unter donnerndem Applaus die Bühne des Nikolaisaals, um seinen zahlreichen Gästen sein neues Werk vorzustellen: „Arabiens Stunde der Wahrheit“ (Propyläen Berlin, 24,99 Euro). Es ist sein mittlerweile 31. Buch und sicher längst nicht sein letztes. Die nächsten zwei Projekte habe er bereits im Kopf, verrät er. Im schwarzen Anzug sitzt er an einem Holztisch vor einem Stoß loser Blätter, auf die er aber nur selten schaut. Beinahe reglos, doch recht munter ist er sofort ins Thema eingestiegen, referiert er über die aktuellpolitische Lage in der arabischen Welt, die er seit den 1950er Jahren regelmäßig bereist. Von der Begrifflichkeit „Arabischer Frühling“ hingegen hält Scholl-Latour gar nichts und fast zynisch wird er mit Blick auf das Treiben der salafistischen Al-Nur-Partei, deren Anhänger ihren religiösen Fanatismus nicht nur von Saudi-Arabien nach Ägypten exportierten, sondern seither sogar hierzulande Morgenluft witterten und 300 000 ins Deutsche übersetzte Koran-Exemplare einfach so unters Volk schmissen, was nebenbei eine absolut islamunwürdige Aktion sei. Wenn sich jedoch in den nordafrikanischen Staaten nach der arabischen Revolution wieder gemäßigte islamische Kräfte durchsetzen, wie jetzt bereits in Tunesien, so sei dies nicht beängstigend und vor allem in deren starken karitativen Engagement begründet. Eine Demokratie nach westlichem Vorbild aber, davon ist Scholl-Latour überzeugt, werde sich dort nie umsetzen lassen. Eine „Facebook-Revolution“ habe vor allem bei jungen Arabern Hoffnungen geweckt, Menschen, für die Scholl-Latour durchaus Sympathie empfindet, denen er aber insgesamt wenig zutraut, verfügten sie doch nicht einmal über politische Programme. Rasant eloquent durchstreift Scholl-Latour an diesem Abend das, wie er einräumt, „entsetzlich komplizierte“ Geflecht in den Ländern Nordafrikas und des nahen Ostens, die noch immer oder bereits wieder Konfliktgebiete sind, in denen zunächst kein Wohlstand zu erwarten ist und sich die Lebensbedingungen eher noch verhärtet haben.
Ein ums andere Mal ereifert er sich dabei heftig über die stets heuchlerische Position des Westens. Er ist wütend, wenn westeuropäische Politiker einerseits vor diversen „Erdöllieferanten“ lieb dienern und andererseits den Tugendapostel spielen. Ob sich Raushalten also die einzige Lösung sei und was man denn tun könne, wird Peter Scholl-Latour gegen Ende seiner über zweistündigen Ausführungen gefragt. „Nichts“, entgegnet er so unerwartet, ja, einmalig maulfaul, dass es ihn offenbar sogar selber verblüfft.
Daniel Flügel
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