
© Tobias Reichelt
Kultur: Der Feinfühlige
Patric Saling ist Personenschützer. Nach der Arbeit schreibt er Gedichte und einen Roman
Stand:
Er hört es sofort. Unruhig knetet Patric Saling seine Hände. Stück für Stück, Finger für Finger, tastet er sie ab. Er kennt die Worte, die sein Gegenüber vorliest. Nervös rückt Saling auf dem Stuhl in der kleinen dunklen Pizzeria hin und her. Er beugt seinen breiten, durchtrainierten Rücken über den Tisch, so dass sein kahlrasierter Schädel im Schimmer der Lampe zu glänzen beginnt. Es muss aus ihm raus, man kann es sehen, man kann es sogar hören. Ein kurzes, tiefes Brummen, Saling räuspert sich. Nur sein Gegenüber ist da, um aufzuhorchen und Saling beendet den Satz: „ ... weißer Schmetterling, der in der Höhe seine Flügel schlägt und mich sanft im Morgenlicht umtanzt.“ Er lächelt. Entspannt lehnt sich Patric Saling zurück. Verstohlen lässt er seine kräftigen Hände in den Hosentaschen verschwinden. Es sind seine Worte.
Patric Saling stellt sich in den Weg, wenn es für seine Klienten um Leben und Tod geht. Er kann blind eine Waffe zerlegen und Gedichte schreiben, wenn er noch kein passendes Geburtstagsgeschenk für einen Freund gefunden hat. Er kann einen Angreifer mit gezielten Schlägen außer Kraft setzen oder sein Gegenüber mit sanfter Poesie und tiefgründigen Weisheiten überraschen. Im Hauptberuf ist Saling Personenschützer. Im vergangenen Jahr hat der 48-jährige Berliner sein Debütroman veröffentlicht, in einer Zeit, in der er fast täglich nach Potsdam kam. Unter dem Titel „In Unvergessenheit ... und alles wird morgen schon gestern sein“ schildert er die melancholische Geschichte des in die Jahre gekommenen Fernfahrers Horst Rückert, der auf einer Raststätte in Michendorf – nur wenige Autominuten von Potsdam entfernt – die vom Krebs zerfressene und von der Krankheit zum Tod verurteilte, junge Ausreißerin Jasmin aufliest. Während der gemeinsamen Fahrt kommen sich die beiden Romanfiguren näher, als sie anfangs gedacht hätten.
Saling ist ein Mann, der Eindruck macht. Wenn der knapp zwei Meter große Hüne mit weiten Schritten über die Straße schreitet, wirkt er bedrohlich. Seine Kleidung ist schwarz, der Kopf bis auf einen kleinen, akkurat geschnittenen Kinnbart kahl rasiert, seine Haut gebräunt. „Die Leute sind überrascht, dass ich ein Buch geschrieben habe“, sagt Saling, „dabei bin ich ein feinfühliger Mensch“.
„Schon als kleiner Piepel habe ich viele Gedichte geschrieben.“ Etwa mit 13 Jahren habe er begonnen, regelmäßig zum Stift zu greifen. Es entstanden kleine, muntere Ferse: „Mutig trat der kleine Fratz hinaus aus seinem Bauer, schwups da hatte ihn die Katz, sie saß längst schon auf der Lauer“, rezitiert Saling eines seiner Jugendgedichte, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Seine Mutter habe das immer sehr gemocht, sagt er und grinst breit. Doch mit der Zeit wurden die Gedichte länger und ernster. „Ich habe gesehen, dass das Leben nicht so lustig ist“, sagt Saling. Sein Debütroman ist Ausdruck dessen: „Im Vorhof der Unsterblichkeit bleibt unser Leben ein geheiligtes Pfand“, schreibt er darin.
Vor etwa vier Jahren habe er die Arbeit an seinem Roman begonnen. Die Gedichte stapelten sich bereits, als ihn seine Freundin Ramona dazu ermunterte, es mit einem Buch zu probieren. „Krebs ist ein hartes Thema“, sagt Saling. Menschen, die davon betroffen sind, wollen darüber nichts lesen. „Ich habe deshalb eine andere Geschichte geschrieben, ich dachte, ich hauche dem Buch einen eigenen Stil ein“, sagt Saling. So finden sich in seinem 300-Seiten starken Roman außer zahlreichen lyrischen und zum Teil sehr genauen Beschreibungen von der Natur und ihren kleinen Bewohnern, wie Raupen oder Schmetterlingen, auch tiefgängige Gedichte wieder.
„Es war eine traurige Zeit. Ich habe viele Freunde gehen sehen“, sagt Saling kurz und knapp und legt eine von seltenen Redepausen ein, in denen er nicht über sein Buch, seine Lebensweisheiten oder seinen Beruf als Bodyguard spricht. „Das ging ganz schnell, wie die Fliegen.“ Es habe ihn tief beeindruckt, wie dicht Leben und Sterben beieinander liegen, sagt er nachdenklich. „Da waren auch Leute dabei, wie meine Jasmin“, erklärt Saling und atmet auf. Sie waren rebellisch, hatten die Hoffnung in die Medizin und auf Heilung längst als Firlefanz abgeschrieben. Wurden vollgestopft mit Tabletten, ohne Erfolg. „So ganz unrecht hatten sie nicht“, sagt Saling heute.
Die 24-jährige Jasmin aus seinem Buch sei keine reale Person. Dennoch gebe es viele Verbindungen vom Roman zu seinem Leben. Die Raststätte Michendorf hatte Saling selbst oft angesteuert, als er noch als Händler Trödel und Antiquitäten durch Deutschland transportierte, da war er Anfang 30. Hinter ihm lagen damals mehrere erfolglose Bewerbungen als Tierpfleger im Zoo und ein eintöniger Job als Paketverlader bei der Post. Als Mitte der 90er Jahre das Internetauktionshaus Ebay an den Start ging, gab Saling sein Trödel-Geschäft auf. Er nahm sich drei Jahre Zeit, um seinen Roman zu Papier zu bringen.
„Den Kern meiner Geschichte habe ich mir in zwei Nächten überlegt. Ich habe das alles vor mir gesehen, wie in einem Film“, sagt Saling. Den gottesfürchtigen und humpelnden Horst Rückert, genannt Hotte, der in der jungen Jasmin seine Tochter finden soll. Der füllige Kraftfahrer ist es, der Salings Geschichte im Roman erzählt und von einem vorprogrammierten Leben spricht: „Eines dürfen wir niemals vergessen, alles wird morgen schon gestern sein und nur die Erinnerung bleibt zurück“, sagt Hotte. Er mahnt: „Wir leben in einer hektischen Welt, in der wir für menschliche Zuneigungen und jede Art von Barmherzigkeit keine Zeit mehr finden.“
Als Patric Saling sein Buch fertig hatte, suchte er sich einen neuen Job – einen, bei dem Leben und Sterben nah beieinanderliegen. Ein Bekannter machte ihm auf die Ausbildung zum Personenschützer aufmerksam. „Ich wollte wieder was richtiges machen, etwas für Menschen tun“, sagt Saling. In Potsdam ließ er sich in einem halben Jahr ausbilden. Er lernte hohe Mauern zu überwinden, sich von Balkonen hinabzuseilen oder über fahrende Autos zu springen.
Heute füllt Saling seine Taschen mit Nähzeug, Pflaster oder Gummihandschuhen – für den Notfall. Er beobachtet Räume und Menschen ganz genau, er trägt Waffen und benutzt sie. Er hat seine Profession gefunden und ist sich seiner Aufgabe bewusst: Ein Bodyguard muss sein Leben einsetzen, um ein anderes zu retten. „Wenn man so einen Job hat, dann muss man wissen, das hat Risiken. Das ist nicht einfach“, sagt Saling. Wenn man das gewisse Etwas nicht mitbringe, dann brauche man das nicht zu machen. Saling beschützt Schauspieler, Musiker oder „Leute, die sich wichtig nehmen“, sagt er. Zum Schreiben komme er bei seinem anstrengenden Beruf nur noch selten.
Doch am Abend , wenn sich der 48-Jährige neben seine Freundin ins Bett legt, hole er oft seinen Roman hervor, erzählt Saling. Gegenseitig lesen sie sich die Geschichte vor. Danach betet er. Im Stillen und für sich. Mal seien es zwei Minuten, mal eine halbe Stunde. „Ich bin ein gläubiger Mensch, renne aber nicht in die Kirche“, sagt Saling. In seine Gebete schließe er Verwandte und Freunde ein, aber auch hungernde Menschen in Afrika. „Ich bin keine Heulsuse“, sagt Saling. Der Beruf des Bodyguards sei genau das richtige für ihn. „Wenn ich meinen Job mache, dann schalte ich ab, dann stehe ich meinen Mann.“ Das passe doch zu ihm, sagt Patric Saling. „Was sollte ich sonst machen?“
Patric Salings „In Unvergessenheit...und alles wird morgen schon gestern sein“, Make a Book-Verlag, 14,80 Euro.
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