Von Almut Andreae: Der Fotoapparat als Pinsel
Stilllebenfotos von Holger Niehaus im KunstHaus
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Die drei weißen Tulpen – kopfüber und restlos entkräftet aus der nicht mehr Wasser spendenden Vase heraushängend – im Endstadium. Auch die Früchte in dem nur auf den ersten Blick klassischen Stilllebenszenario haben ihren Zenit längst überschritten. Die grünlich-fahlen Wachstumsprozesse, die im roten Fruchtfleisch der aufgeschnittenen Pampelmuse anfangen ein wenig appetitliches Eigenleben zu entfalten, daneben glasiert glänzende Weintrauben sorgen für Irritation.
Eins muss man den exotischen Arrangements aus Blumen und Früchten von Holger Niehaus in jedem Falle lassen: Sie fordern ungeteilte Aufmerksamkeit, ja provozieren beim Betrachter einen geradezu voyeuristischen Blick.
Im KunstHaus Potsdam ist der in Berlin lebende Fotokünstler Niehaus aktuell im Rahmen der exquisiten Einzelausstellung „You are invited“ zu sehen. Der 1975 an der deutsch-holländischen Grenze geborene Künstler präsentiert sich in Potsdam mit einem repräsentativen Ausschnitt seiner fotografischen Arbeit. Mit seinen beiden fast zeitgleich eröffneten Ausstellungen im Gemeentemuseum Den Haag und in Glücksburg steht Holger Niehaus spürbar an einem wichtigen Punkt seiner künstlerischen Laufbahn. In der Potsdamer Ausstellung bilden die ausgewählten überwiegend großformatigen Farbfotografien das Spektrum seiner Arbeitsweise eindrucksvoll ab. In den vergangenen zehn Jahren hat Niehaus den großen Bereich der Stilllebenfotografie durch bemerkenswerte, innovative Positionen ergänzt und bereichert.
Und wie es aussieht, treten keinerlei Ermüdungserscheinungen auf, die ursprünglich aus der Malerei herrührende Bildgattung des Stilllebens immer neuen Interpretationen und Umdeutungen zu unterziehen. Dabei agiert Niehaus auf unterschiedlichen Ebenen, angefangen von der zum Teil ironisch gebrochenen Paraphrasierung des traditionellen Bildgenres bis hin zur minimalistischen Formulierung auf der Basis sorgfältig arrangierter Kartonmodelle. Das sorgfältige Arrangement wird zur zentralen Schnittmenge zwischen den optisch so unterschiedlich ausfallenden Blumen- und Früchtearrangements einerseits und den abstrakten Kompositionen andererseits.
Nichts überlässt Holger Niehaus dem Zufall: die Art und Weise, wie er Früchte und Blumen inszeniert, wie sich dazu der Hintergrund verhält, wie das Ganze ausgeleuchtet wird, wie die Farben und Formen miteinander korrespondieren, die Proportionen aufeinander abgestimmt sind und - sehr entscheidend – aus welcher Perspektive, welchem Blickwinkel er das dergestalt konstruierte Szenario ins Bild setzt.
All dies ist, ausgehend von der Bildinvention, bis ins kleinste Detail hinein geplant und gestellt. Demnach ist der eigentliche kreative Prozess zu einem Großteil in der aufwändigen Vorbereitungsarbeit zu vermuten. Das Betätigen des Auslösers wäre infolgedessen beinahe schon der letzte Schritt. „Der Fotoapparat ist nur ein Pinsel“, sagt Holger Niehaus. Der Fotoapparat als ein Werkzeug im besten Sinne – nicht mehr und nicht weniger und damit Punkt. Seine Funktion ist eine dienende, mit dem Zweck, die analog fotografierten Modelle auf Zelluloid zu bannen vor dem technischen Endschliff. Die Verfremdung durch Bemalung oder Beschneidung zeichnen die Stillleben von Niehaus ebenso aus wie seine offenkundige Vorliebe für Formen der Übertreibung und Deformation.
Anders als man es im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung argwöhnen würde, vollzieht Niehaus all diese Eingriffe unmittelbar am Modell. Den Bruch mit konventionellen Sehgewohnheiten, die Neusichtung des traditionellen Stillleben-Genres vollzieht er genau hier. Mit äußerster Akribie, und das gilt wirklich ausnahmslos für jede einzelne Arbeit, schreitet der Künstler dabei zur Tat. Im Ergebnis sind seine innovativen, teils subversiven Bildschöpfungen attraktiv und technisch bis zur Perfektion getrieben. In der Ambivalenz zwischen Sinnlichkeit und Erstarrung, zwischen Verführung und Provokation entfalten sie ihre subtile Anziehungskraft.
Bis 6. Dezember: Mi 11-18, Do+Fr 15-18, Sa+So 12-17 Uhr. Ulanenweg 9 (Zufahrt von der Jägerallee).
Almut Andreae
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