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Kultur: Der Gärtner war es nicht

Der Brandenburger Jean Wiersch hat mit „Havelwasser“ seinen ersten Kriminalroman geschrieben

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Was bleibt, ist Ernüchterung. Die Kleinen werden erwischt, die Großen machen weiter wie gehabt. Nach dem Hauptkommissar Andrea Manzetti drei brutale Morde innerhalb weniger Tage aufgeklärt und beinahe, fast im Vorbeimarsch, noch ein weltweit agierendes Verbrecherkartell zerschlagen hätte, bleibt ihm nichts anderes als seine Frau anzurufen, um eine Woche Urlaub in der Toskana buchen zu lassen. Bloß weg aus Brandenburg!

„Havelwasser“ heißt der erste Kriminalroman von Jean Wiersch, der dieser Tage im Kasseler Prolibiris Verlag erschienen ist. Wiersch, 44 Jahre alt, ist Leiter einer Polizeiwache im Havelland und lebt in Brandenburg. Schauplätze für sein Krimidebüt sind seine Heimatstadt, Potsdam und ein Tierpark in Berlin.

Zuerst wird eine Leiche mit tiefem Schnitt durch den Hals an der Jahrtausendbrücke in Brandenburg gefunden. Wie sich später herausstellt, hatte der Mörder Euromünzen auf die Augen des toten Mannes, ein katholischer Geistlicher aus Potsdam, gelegt. Kurze Zeit später die zweite Leiche, ebenfalls mit tiefem Schnitt durch den Hals und Münzen auf den Augen. Hauptkommissar Manzetti steht vor einem Rätsel.

Was anfangs wie eine Reihe von Ritualmorden erscheint, entpuppt sich im Laufe der Ermittlungen als ein Spiel mit geheimen Nachrichten des Mörders an Manzetti. Geschickt lässt Wiersch seinen Hauptkommissar falsche Spuren verfolgen, bringt Personen ins Spiel, die erst nur Randfiguren sind und später ihre Rolle im gewaltigen Komplott um Erpressung, Elfenbeinhandel, Geldwäsche und Mord einnehmen. Und schon früh stellt Wiersch uns den Mörder vor, zu einem Zeitpunkt, an dem wir, wie Manzetti, noch nicht einmal ahnen können, was hinter diesen Morden steckt, an dessen Ende die zerfetzte Leiche einer Ärztin im Eisbärengehege eines Berliner Zoos gefunden wird. Doch wenn man „Havelwasser“ am Ende zuschlägt, bleibt trotz spannender Momente, einer oftmals rasanten Handlung und überraschender Wendungen ein Gefühl der Distanz. An die Namen der Personen kann man sich erinnern, Handlungen erklären und Motive nachvollziehen. Nah dran an das Geschehen und die Menschen kommt der Leser jedoch nur in ganz seltenen Momenten.

Vladimir Nabokov, Autor des Romans „Lolita“, hat einmal gesagt, dass Themen in der Literatur gar nicht so wichtig sind. Entscheidend seien die befriedigenden Details. Nabokov ging gar soweit zu fordern, diese Details zu liebkosen. Doch gerade diese Details lässt Wiersch in „Havelwasser“ vermissen.

Ob der halbitalienische Hauptkommissar Andrea Manzetti – eine etwas plump wirkende Anspielung auf Commissario Brunetti aus der erfolgreichen Kriminalromanreihe der Autorin Donna Leon – und dessen Familie. Ob Gerichtsmediziner Bremer, Polizeipräsident Ole Claasen oder Manzettis Assistentin Sonja, diese Personen bleiben gesichtslos. Und genauso wie Wiersch bei den Personen darauf verzichtet, sie durch Details zu beschreiben und dadurch den Leser näher zu bringen, verzichtet er auf jegliche Beschreibung von Atmosphäre. Ob Ermittlungen an der Havel, Manzettis gedankenverlorene Spaziergänge durch Brandenburg oder Besuche in den Wohnungen Betroffener oder Verdächtiger, es entstehen einfach keine Bilder im Kopf des Lesers. Hinzu kommt das ständige Moralisieren.

Ob Bildungspolitik, rüpelhafte Jugendliche, fremdenfeindliche Äußerungen oder ein fehlendes Rauchverbot in den Gaststätten, fast auf jeder Seite lässt Wiersch durch Manzetti moralische Kommentare zu gesellschaftlichen Problemen abgeben. Nötig hat „Havelwasser“ derartige Einschübe nicht. In der Figur Manzettis und seiner Mitmenschen steckt genug Potenzial, um wirklich gute Kriminalliteratur daraus zu machen. Jean Wiersch hat das Zeug dazu, das zeigt er trotz aller Mängel mit seinem Debüt „Havelwasser“.

Wenn Manzetti aus seinem Toskanaurlaub zurückkommt, wird er wieder in sein Büro zurückkehren und einen neuen Fall übernehmen. Vielleicht macht Jean Wiersch dann mehr daraus. Dirk Becker

Dirk Becker

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