Kultur: Der Geruch nasser Badesachen
Der eine liebt die Bühne, der andere scheut sie: Der Schauspieler Ulrich Matthes las aus Botho Strauß’ „Herkunft“
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Manches passt einfach perfekt zueinander: Ende letzten Jahres hat Botho Strauß, einer der meistgespielten deutschen Dramatiker, sein neues Buch „Herkunft“ veröffentlicht. 96 Seiten sprachmächtiger und dabei wunderbar leichtfüßiger Text über die eigene Kindheit und Jugend. Es ist das bislang wohl persönlichste Buch eines Schriftstellers, der seit langem zurückgezogen in der Uckermark lebt, keine Interviews gibt und öffentliche Auftritte oder Lesungen meidet.
Anders Ulrich Matthes, einer der bekanntesten deutschen Schauspieler und zudem einer der besten Hörbuchsprecher. Am Sonntagnachmittag in der ausverkauften Villa Quandt übernahm er die Aufgabe, Botho Strauß’ autobiografisches Buch vorzustellen. Wie Matthes zuvor verriet, hatte er noch mit dem Autor telefoniert. Der habe herzliche Grüße nach Potsdam ausrichten lassen.
In „Herkunft“ taucht Botho Strauß noch einmal ein in seine Kindheit in Bad Ems an der Lahn, in die westdeutsche Provinz der 50-er und 60-er Jahre. Zugleich erzählt er die Geschichte seines Vaters, und es scheint, als betrachte er sein eigenes Eremitendasein als eine Art Erbschaft. Vom Leben hart geprüft, hatte sich auch der Vater zum Außenseiter und Sonderling entwickelt. So beschreibt Strauß einen strengen, doch grundgütigen Mann, der auch zu Hause stets eine Krawatte mit Perlennadel trug und für den die Morgentoilette „Teil einer Selbstbehauptung“ war. Solche und andere Marotten waren dem Sohn damals peinlich. Erst jetzt, im Alter, spürt Botho Strauß, wie diese frühe Prägung ihre Wirkung entfaltet und er selbst in das hineingealtert ist, „was man einst als rettungslos veraltet empfand.“
Sehnsüchtig erinnert er sich nun an die lenkende Hand des Vaters, an die Gespräche mit ihm während der Hausaufgaben und an die Glücksmomente „sieghafter Harmonie“. Es ist eine unverkennbare Liebeserklärung, und Ulrich Matthes trifft mit seiner klaren und warmherzigen Stimme den Ton dieses Textes genau. Er liest langsam, bisweilen feierlich, ohne behäbig und pathetisch zu wirken. Er setzt pointierte Pausen, lässt geschickt auch unfreundlichen Satzkonstruktionen luftig wirken und beugt sich bei wörtlicher Rede manchmal leicht vor mit hauchzartem Minenspiel. Kurz: Wenn Ulrich Matthes liest, fesselt er. So auch, als Botho Strauß die Wege seiner Kindheit noch einmal abgeht, Erinnerungen an seine alte Schule heraufbeschwört und humorvoll an seine Lehrer und Mitschüler denkt, die ihm noch genauso klar vor Augen stehen, wie er etwa auch den Geruch nasser Badesachen nicht vergessen hat. Fast andächtig friedlich und ohne zu verklären blickt Botho Strauß zurück. Das Erinnern wird zu einer Art Bildungserlebnis: „Die Erweiterung des Horizonts besteht nicht selten darin, dass sich einem das Gewesene öffnet.“
Als Botho Strauß 1996 in Bad Ems die Wohnung seiner Eltern auflöst, ist der Vater längst verstorben und die Mutter in ein Altersheim gezogen. Jetzt, mit 70 Jahren, hat der Sohn die „Entrümpelung seiner Kindheit“ abgeschlossen und mit „Herkunft“ ein sehr berührendes und weises Buch über das Erinnern geschrieben. Anhaltend der Beifall, nachdem der erstklassige Vorleser Ulrich Matthes diesen wunderschönen Text zum Klingen gebracht hat. Manches passt einfach perfekt. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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