Kultur: Der Glaube an eine Kraft, die in allem Lebendigen wohnt
Vor 30 Jahren starb die Journalistin und Schriftstellerin Maxie Wander in Potsdam
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„Guten Morgen, du Schöne/ Steig auf den Apfelschimmel und reite Galopp/ Ich warte auf dich im Wald/ Mit einem Zelt ungeborener Kinder/ Mit Nachtigallen und einer Hyazinthe/mit einem Bett aus meinem Körper.“ Dieses Zigeunerlied wurde Leitmotiv und Titel für Maxie Wanders erstes Buch „Guten Morgen, Du Schöne“, das 1977, in ihrem Todesjahr, erschien. Dessen Aufsehen erregende Wirkung sie sterbend kaum noch zur Kenntnis nehmen konnte. Das Maxie Wander aber postum weit über die Grenzen der DDR bekannt machte.
Neunzehn Frauen zwischen 16 und 92 Jahren erzählen darin von Liebe, Sexualität, Familie, Beruf, Politik, Glück und Hoffnung. Dass Maxie Wander eine gute Fragerin und Zuhörerin war, bezeugen die so authentisch gezeichneten Frauenfiguren: Die Lehrerin Doris, die Sekretärin Rosi, die Serviererin Ruth, die Ärztin Katja, die Rentnerin Julia, die Schülerin Susanne, die Wissenschaftlerin Margot. Ein weibliches Gesellschaftsbild der DDR entsteht, das auch nach 30 Jahren seine Einmaligkeit und Ausstrahlungskraft nicht verloren hat. „Unsere Lage als Frauen sehen wir differenzierter, seitdem wir die Gelegenheit haben, sie zu verändern. Wir befinden uns alle auf unerforschtem Gebiet und sind noch weitgehend uns selbst überlassen.“ So beschreibt Maxie Wander ihre eigene Situation und die der befragten Frauen im Vorwort zu ihrem Buch. Dem sich Christa Wolf anschließt: „Dass diese Sammlung als Ganzes mehr ist als die Summe ihrer Teile: Fast jedes der Gespräche weist durch Sehnsucht, Forderung, Lebensanspruch über sich hinaus, und gemeinsam geben sie ein Vorgefühl von einer Gemeinschaft, deren Gesetze Anteilnahme, Selbstachtung, Vertrauen und Freundlichkeit wären. Merkmale von Schwesterlichkeit, die, so scheint mir, häufiger vorkommt als Brüderlichkeit.“
Der zwanzigste Text, über sie selbst, ist zwischen den Zeilen zu lesen. Erst nach ihrem frühen Tod veröffentlicht Fred Wander aus mehreren tausend Briefen und Tagebuchseiten den Text ihres Lebens, von dem der erste 1979 erscheint. 1980 und 1990 folgen die Bände „Leben wär“ eine prima Alternative“ und „Ein Leben ist nicht genug“. Das Geheimnis ihrer genauen Urteilskraft, ihres besonderen Sehens liegt wohl auch in der Tatsache begründet, dass sie zeitlebens von einem „anderen Ort“ aus schreibt. 1933 in Wien als Kind einer kommunistischen Arbeiterfamilie geboren und seit ihrem 20. Lebensjahr mit dem jüdischen Schriftsteller Fred Wander verheiratet, bleibt sie auch nach ihrer Übersiedlung in die DDR die Wienerin, die sich in dem kleinbürgerlichen Kleinmachnow nie wirklich heimisch fühlt. Sich den kritisch distanzierten Blick immer bewahrt. 1968 beginnen die Tagebuchaufzeichnungen. Kurz vor dem Tod ihrer zehnjährigen Tochter Kitty. Als nichts mehr so ist und so sein wird, wie es war. Weitergeführt, als sich der graue Schleier über ihrem Leben zu lichten beginnt und sie tapfer schreibt: „Ich probiere, mit einigem Erfolg, den alten Trick von Fred: Lächeln. Auch wenn dir nicht danach zumute ist. Lächeln. Versuch es, du wirst sehen, nach einer Weile spürst du Linderung“.
In den ihr verbleibenden neun Lebensjahren beginnt ihre produktivste Schreib- und Lesezeit. In ihren Tagebuchtexten und Briefen erzählt sie von ihren Reise- und Lektüreerfahrungen. Kraftvoll zieht sie zu Felde gegen Dogmatismus, Spießertum, Verlogenheit und Prüderie, die sie nicht für unvermeidbar hält. Erst als die Krebserkrankung zu ihrer unvermeidbaren Wirklichkeit wird, glaubt sie „ihre Mitte“ gefunden zu haben – der Glaube an eine Kraft, die in allem Lebendigen wohnt, die man nicht ungestraft verletzen darf. Am 20. November 1977 stirbt Maxie Wander im Potsdamer Klinikum.
Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
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