Kultur: Der Götze auf dem Bronzepferd Rolf-Dieter Keil
las Puschkin
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„Kaffee & Kuchen hier“ bezeugte ein Schild in einer Mischung aus deutscher Fraktur und Schnörkel am Eingang zum Alexandrowka-Museum in der alten Nedlitzer Straße. Als Begleitveranstaltung zu der Ausstellung „Puschkins Petersburg“ hatte das Haus am Samstag zu einer besonderen Literaturstunde geladen, vielleicht die Alternative zu Uranias Gartenlesungen. Natürlich ging es unter dem imposanten Walnussbaum allein um Puschkin, trotzdem wurden Kaffee und Kuchen nicht außen vor gelassen. Und wenn man mit Rolf-Dietrich Keil einen der führenden Slawisten und Chef der Puschkin-Gesellschaft zum Vorlesen des Poems vom „Ehernen Reiter“ gewinnt, dazu auch noch seiner eigenen Übersetzung, dann ist das schon etwas Besonderes.
Nach einer eher zähflüssigen Begrüßung legte der Bonner Professor a.D. auf einem Piedestal gleich mal ganz trocken vor: Die Alexandrowka spiegele in ihrer Idylle „russisches Landleben“ gar nicht echt wider! Puschkin hat es anders erlebt, Keil selbst während seiner Sowjetunion-Jahre auch. Aber im inneren Carree des Museumsgarten genügt schon ein Blick, um das zu erkennen. Denn „Halberstädter Jungfrauenapfel“ und „Wangenheims Frühzwetschge“, wie kleine Schilder am Wegrand die Gewächse erklären, sind bestimmt keine russischen Züchtungen. Der krausköpfige Poet übrigens auch nicht, mütterlicherseits stammte er ja von jenem Mohren ab, der Peter I. ständig begleitete.
Vor gut 40 Gästen führte der sachkundige Vorleser Keil nun in jene Verserzählung ein, Zoryana Babyuk an der Harfe und die Sopranistin Alissa Kravcova begleiteten die Open-air-Veranstaltung mit russischen Kompositionen aus dem 19. Jahrhundert. Dann zog auch noch ein Gewitter von Westen heran.
Dorthin weist auch ein großes Reiterstandbild Zar Peter des Großen auf dem „Platz der Dekabristen“ im alten und neuen Sankt Petersburg. Wider besseren Rates erzwang Peter I. hier ab 1703 eine Stadtgründung, den Newa-Sümpfen und granitnen Felsinseln abgetrotzt. Er wollte sein Russland nach Westen öffnen, was ja noch heute nicht glückt. Katharina II. errichtete ihm 1782 jenes richtungsweisende Denkmal. Keil erzählte, wie oft das Reiterstandbild in der russischen Geschichte mal „Eherner Reiter“, mal „Eherner Gigant“ genannt werden sollte. Der vollständige Text Puschkins darüber wurde erst Anfang des vorigen Jahrhunderts zugänglich, denn er hatte es gewagt, an der kostbaren Bronze zu kratzen. Sein Poem ist in drei Abschnitte gegliedert. Teil Eins erklärt der nicht Peter, sondern dem Heiligen Petrus gehuldigten Stadt seine Liebe, der Rest ist eine dramatische Handlung um einen gewissen Jewgeni.
Während dieser junge Adlige noch von seiner Liebe träumt, rafft eine gewaltige Flut aus Richtung West fast die ganze Stadt hinweg. Er hat seine Braut verloren, dann den Verstand, und schreit dem bronzenen Götzen und Städtebegründer nun allen Hass entgegen, weil er gegen allen Rat hier zu bauen begann. Wie im „Steinernen Gast“, so wird auch hier eine Statue lebendig, sie verfolgt und tötet Jewgeni. Als man ihn auf einer der Inseln begrub, wuchs dort lange kein Gras mehr.
Realismus? Nur die Wissenschaft will ihn, der Poet soll ihn meiden. Natürlich hat es diese Flut in auffallend zeitlicher Nähe zum Dekabristenaufstand 1825 gegeben, natürlich war Peter I. Gigant und Götze zugleich, wie die Friedrichs und Wilhelme hier. Und auch hier wurde mancher von einem dieser Verbronzten noch zu Tode gebracht. Gerold Paul
Die nächste Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Puschkins Petersburg“ findet am Freitag, 11. September, 16 Uhr, mit dem Vortrag von Burkhardt Göres, ehemaliger Direktor Schlösser und Sammlungen der Stiftung preußische Schlösser und Gärten, über „Alexander Puschkins Sankt-Petersburg – Ein Spaziergang durch die Stadt des großen Dichters“
Gerold Paul
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