25 Jahre Literaturladen Wist: Der große Leser
Vor 25 Jahren, im Chaos der Wende, gründete Carsten Wist seinen Literaturladen. Jetzt erinnert er an seine Lieblingsautoren.
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Potsdam - Etwas Widerwärtigeres als vorlesen hat es für Thomas Bernhard nicht gegeben. Zumindest hat er es einmal so in einem Brief an seinen Verleger Siegfried Unseld geschrieben. Und auf den ersten Blick laden seine verschachtelten, mit Wiederholungen und dem Rhythmus der Sprache spielenden Sätze auch nicht zum Vorlesen ein.
Wenn aber René Schwittay, derzeit als Doktor Faust und auch sonst am Hans Otto Theater zu erleben, aus „Holzfällen, eine Erregung“ vorliest, dann schält er aus all der Bernhardschen Sprachkunst den so bösen wie urkomischen Kern heraus. Ganz leicht. Noch ein bisschen lustiger wird es, weil Bernhard darin die Arroganz eines Wiener Burgschauspielers und damit ja quasi eines Kollegen seziert.
Erst im Literaturladen, dann Nobelpreis
Dass es bei Carsten Wist am Montagabend um Bernhard gehen musste, war klar: 25 Jahre gibt es den Buchladen in der Brandenburger Straße inzwischen und trotzdem war Thomas Bernhard nie hier, wie auch, der österreichische Autor starb 1989. Trotzdem, eine Frechheit eigentlich, schließlich waren bei Wist so viele andere, Große: Christa Wolf, Paul Auster, aber auch Imre Kertész, Toni Morrison und Herta Müller, jeweils bevor sie den Nobelpreis gewannen. Eine Frechheit aber auch, weil Wist schon lange vor seiner Karriere als Buchhändler ein großer Bernhard-Leser war. Anders als viele andere West-Autoren konnte man dessen Bücher in der DDR bekommen – „Frauen beeindrucken allerdings nicht“, wie Wist einräumt.
So oder so, Thomas Bernhard war einer der ersten Autoren, den er und sein Kollege Siegfried Ressel ins Sortiment aufnahmen, jetzt startet Wist mit Bernhard seine „Hall of Fame“, eine Reihe von Autoren, deren Gesamtausgabe stets und immer im Laden vorrätig sein soll. Ob er dafür noch Leser und Käufer findet?
Nach der Wende waren einst verbotene Bücher heiß begehrt
Am Montagabend gibt sich Wist pessimistisch und zitiert den britischen Autor Howard Jacobson, der mit „Im Zoo“ eine zynische Abrechnung mit dem Literaturbetrieb in Zeiten von Twitter, Amazon und den Ramschkisten bei Oxfam. Zeiten, in denen die Leute gern in 140 Zeichen lesen wollen, worum es in „Schuld und Sühne“ geht und nicht verstehen, dass ein Roman eben mehr ist als seine Zusammenfassung. Ganz so schlimm scheint die Lage dann doch nicht zu sein, zumindest in Potsdam nicht. „Wir haben immer das gemacht, was uns selbst interessiert hat, damit sind wir bisher gut gefahren“, sagt Wist. Am 2. Juli, dem Tag der Währungsunion, standen Wist und Ressel mit einem Tapeziertisch auf der Straße, das erste Buch, das sie verkauften, war „Angst vorm Fliegen“, der Klassiker der weiblichen erotischen Literatur von Erica Jong. „Das war ein sensationeller Erfolg, das war sofort weg“, sagt Wist. Überhaupt gab es einen ziemlichen Run auf die Bücher, die man in der DDR nicht bekommen hatte, ob Günter Grass, Henry Miller oder Milan Kundera. Ein geistiger Hunger also nach dem so lange Verbotenem.
Grundsätzlich aber ist das Interesse an guter Literatur eigentlich gleich geblieben, es gibt gute Jahrgänge und schlechtere, sagt Wist. Vielleicht läuft es bei Wist auch deshalb so gut, weil er sich der Literatur einerseits exzessiv verschrieben hat, weil er seine Arbeit ein bisschen auch mit der der Schriftsteller – und mit Sisyphos – vergleicht. Jeden Tag neu anfangen, mit neuem Elan. Und dann kam ihm natürlich die Wende zur Hilfe. „In der DDR hatte ich immer das Gefühl, ich kann eigentlich mehr, und diese Pfeifen lassen mich nicht.“ Zur zweiten Lesung kam Günter Schabowski, „der wollte erst gar nicht, weil er Attacken witterte, die Sicherheitslage nicht richtig beurteilen konnte, der Mob tobte ja noch“. Der fragte Wist damals: „Haben Sie denn in der DDR auch schon nen Buchladen gehabt?“ Wist lacht noch immer, wenn er davon erzählt. „Wie hätten wir das denn machen sollen? Neben den konfessionellen gab es quasi keine privaten Buchhandlungen.“
Fasziniert von Autorin Herta Müller
Andererseits hat er auch immer an seinem Konzept festgehalten, sich nicht von den Regeln des Marktes verramschen lassen. „Wir hatten eben nicht nur die Stars, sondern auch Wolfgang Hilbig, oder Herta Müller, lange bevor sie den Nobelpreis gewann. Das waren immer traurig-schöne Lesungen, da ging es immer um ganz existentielle Fragen, um Leben und Tod.“ Herta Müller ist für ihn überhaupt die Autorin des vergangenen Vierteljahrhunderts. Keine Schriftstellerin hat das Leben unter diktatorischen Bedingungen so in Sprache gefasst, die Deformierungen, auch die psychischen, aufgezeigt – „in einer grausam-schönen Sprache“, so Wist. Die beste Mannschaft aber, die haben die Amerikaner, sagt Wist. „Die verbinden am besten abenteuerlich gute Unterhaltung mit Niveau.“ Wenn es bei den Deutschen unterhaltsam wird, sei es auch schnell kitschig. Das nun kann man Thomas Bernhard wirklich nicht vorwerfen.
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