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ZUR PERSON: Der in die dunkelsten Keller führt

Jürgen Vogel spielt Fieslinge, Kriminelle, aber auch nette Typen und Liebhaber. In diesem Monat widmet das Filmmuseum dem Star des deutschen Films eine Retrospektive

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Jürgen Vogel, das ist doch der mit den Zahnlücken, der Coole, der Kumpel, der Pragmatiker, der Uneitle, der jungenhafte Charmeur. So kennt man ihn, dafür steht er, sagt die Filmkritik über den erfolgreichen deutschen Schauspieler, der es mit 37 Jahren auf fast 60 Fernseh- und Kinofilme gebracht hat. Spätestens seit „Kleine Haie“, seinem Kinodurchbruch, in dem er den verlassenen, orientierungslosen Ingo spielt, der dann doch noch nimmt, was das Leben ihm bietet.

Jürgen Vogel denkt nicht so wie die Kritiker. Und so, wie sie ihn sehen, ist er auch nicht. Selbst wenn er so wäre, dann hätte das für ihn nichts mit seinem Schauspielen zu tun. Das ist für ihn was ganz anderes, sagt er.

Man kriegt eine Ahnung davon, was er meint, wenn man sich Filme der Jürgen-Vogel-Retrospektive im Filmmuseum ansieht: Die Ende 2005 in die Kinos gekommene Dreiecksbeziehung „Keine Lieder über die Liebe“, in der er den weichen Sänger Markus spielt, das Fernsehdrama „Scherbentanz“, in dem er den kranken Jesko gibt, oder den Historienfilm „Mein Name ist Bach“, wo er Friedrich II. ist. Ein Chamäleon ist nichts gegen ihn. Die Zahnlücke ist plötzlich unaufdringliches Detail, das zu einem Menschen dazu gehört. Keine Rolle, die der Schauspieler gibt, in der sie stören würde. „Wenn Jürgen Vogel eine Rolle spielt, verschwindet er dahinter. Da ist dann erst die Figur und Jürgen Vogel sieht man nicht. Das ist das Besondere an ihm“, sagt Dorett Molitor vom Filmmuseum über den Schauspieler.

Jürgen Vogel sitzt in einem Charlottenburger Café mit dunklen Holztischen und netten Kellnerinnen, die regelmäßig die Aschenbecher ausleeren, und zieht mit dem Teebeutel in seiner Tasse eine dunkle Spur durch das Wasser. Er trägt ein unauffälliges, olivgrünes Shirt und Turnschuh. Die Haare sind stoppelkurz, wie in seinem letzten Film „Keine Lieder ohne die Liebe“. Die Frau am Nachbartisch guckt rüber. Tuschelt kurz mit ihrem Gegenüber. Mehr an Aufmerksamkeit schenkt man dem bekannten Schauspielergesicht nicht. Aber mehr an Aufmerksamkeit braucht er auch nicht. Wozu? Er macht, was er macht, für sich, und um Geld zu verdienen, wie jeder. Rote Teppiche und Empfänge sind nicht sein Ding, sagt er. Seine Interviews gibt er oft in diesem Café.

Er nimmt sich Zeit. Für seinen Tee, für die Zigaretten, die er eine nach der anderen ansteckt, zum Nachdenken, für den obdachlosen „Straßenfeger“-Verkäufer, der sich zwischen den Tischen durchschiebt. Die beiden begrüßen sich wie alte Bekannte, die sich immer mal wieder über den Weg laufen. Der Schauspieler kauft eine Zeitung.

Zum Film ist er zufällig gekommen, erzählt Jürgen Vogel. Er wuchs mit drei Geschwistern in Hamburger-Schnelsen auf. Der Vater war Kellner, die Mutter Hausfrau. Als er neun war, hat ihn eine Freundin zum Foto-Shooting beim Otto-Versand mitgenommen, so wurde er Kinder-Model. Als er 15 war, bot ihm seine Agentur eine Filmrolle an. Damals hat er noch gar nicht richtig begriffen, worum es geht. Er hat dann einfach aus dem geschöpft, was er war. Und so macht er das bis heute – nur das er heute eben ein ganz anderer ist. Man verändert sich ständig, sagt der Schauspieler. Heute würde er eine Rolle immer ganz anders interpretieren als gestern oder morgen.

Jürgen Vogel ist Bauchmensch. Er spielt seine Figuren aus dem Gefühl heraus, versucht sich in sie und ihre Welt einzufühlen. Das ist für ihn auch eine Sache der Menschenkenntnis. Er hat sich schon immer Leute angesehen, dafür interessiert, warum wer was wann macht. Das hilft. Eigentlich hat fast jeder das Potenzial zu schauspielern, sagt der Profi, den es nicht länger als einen Tag auf einer privaten Schauspielschule in München gehalten hat. Jeder Mensch hat ein bestimmtes Wissen, das ihm nicht bewusst ist. Leid, Trauer, Liebe, Gewalt, Angst stecken in ihm. Es kommt nur darauf an, wie weit er diese Gefühle zulässt, sich überhaupt erst einmal dafür interessiert.

Von München ist er dann direkt nach Berlin gegangen. Weil er als Berliner damals nicht zum Bund musste. Er blieb dort hängen. „Eine geile Stadt. Die beste in Deutschland“, sagt er heute. Hier läuft der Bundesdurchschnitt durch die Straßen. Von jedem etwas. Wie ein Gemischtwarenladen. Reich, arm, schön, hässlich, engagiert und unambitioniert. Das gefällt ihm. Er lebt mit seiner Familie in Wilmersdorf, hat vier Kinder. Mit dem Motorrad fährt er manchmal im Sommer über die Glienicker Brücke nach Potsdam, die Strecke gefällt ihm.

In den ersten Jahren in Berlin hatte er nur unregelmäßige Jobs beim Film und hielt sich durch Paketausfahren bei der Post und Mitarbeiter bei einem Partyservice über Wasser. Bis Ende der 80er Jahre. Dann ging es aufwärts. Für seine Rolle als Kidnapper in Egon Günthers „Rosamunde“ und für den Ingo in „Kleine Haie“ erhielt er den Bayrischen Filmpreis. Er spielte in „Sexy Sadie“ mit, in „Fette Welt“, „Emil und die Detektive“, „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, „Das Leben ist eine Baustelle“ und „Rosenstraße“. Drei Filme im Jahr schafft er jetzt locker.

Dabei sind es nur manchmal die Filme, die auch gut laufen, die er am spannendsten findet. Jürgen Vogel sucht das Neue, den Konflikt. Er mag Randfiguren, Charaktere, die er erst kennen lernen muss. Den Obdachlosen, den verhaltensgestörten Kidnapper, den Kranken, den, der nicht einfach so durchs Leben geht, sondern mehr stolpert. Je tiefer ein Charakter, je mehr Spielraum lässt ihm eine Figur, sie zu interpretieren. Dabei sieht er seine Arbeit auch aus der Außen-Perspektive. Bei Tabufiguren hat er es schwerer, den Zuschauer mit in die Person hineinzuziehen, ihn in den dunkelsten Keller mitzunehmen. Aber gerade das reizt ihn. „Taxi Driver“, „Breaking the Waves“, extreme Filme, führen in Welten, die man nicht kennt. „Ein guter Film zeigt fast so etwas wie die Essenz vom Menschsein“, sagt er. Solche Filme, solche Rollen, sind für ihn Sahnehäubchen in seinem Job. Und solche Filme guckt er sich selbst gern an.

Nicht, dass er wegen eines hehren Filmanspruchs die Wirklichkeit aus den Augen verlieren würde. Er hat auch einen Werbespot gedreht für ein Geldinstitut: Jürgen Vogel als Filmvorführer. „Wenig Arbeit, viel Geld.“ Da ist er wieder ganz Pragmatiker. So wie ihn die Filmkritiker sehen. Nur zu langweiligen Traumschiff-Dialogen in langweiligen Geschichten muss er sich zwingen. Oder er lehnt sie einfach ab, wenn er sich das leisten kann.

Am Donnerstag, den 26. Januar, ist Jürgen Vogel ab 19.30 Uhr zu Gast im Filmmuseum

DER SCHAUSPIELER

Jürgen Vogel, geboren am 29. April 1968 in Hamburg, gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten Schauspielern des jungen deutschen Films. Mit 37 Jahren hat er fast 60 Fernseh- und Kinofilme gedreht. Er wurde mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht: Unter anderem ist er Träger des „Bayerischen Filmpreises“, des „Bundesfilmpreises“, des „Telestars“, des „Grimmepreises“ und des „Deutschen Filmpreises“.

DIE FILME

Sein Kinodebüt gab er als 15-Jähriger in der Rolle eines verwahrlosten Straßenjungen in Volker Maria Arends „Kinder aus Stein“ (1984). Seinen Durchbruch feierte er mit „Kleine Haie" (1991). Highlights waren die Rollen als rebellischer Halbstarker in „Durst“ (1992), als todkranker Ausbrecher Edgar in dem von ihm koproduzierten Film „Sexy Sadie“ (1995), als sexbesessener Barkeeper in „Stille Nacht“ (1995) und als junger Neonazi in Rainer Kaufmanns sozialkritischem Fernsehfilm „Dann eben mit Gewalt“ (1992). Er spielte

in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ (1996), „Die Apothekerin“ (1997) und „Nackt“ (2002). In den letzten Jahren sah man ihn in „Scherbentanz“ (2002), „Rosenstraße“ (2003) und Til Schweigers Film „Barfuß“, in der Krimikomödie „Das geheime Leben meiner Freundin“ und im Beziehungsdrama „Außer Kontrolle“. maha

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