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Kultur: Der Irrglauben Familie

Sigrid Löffler und Bettina Abarbanell im Gespräch über „Die Korrekturen“

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Sigrid Löffler und Bettina Abarbanell im Gespräch über „Die Korrekturen“ Von dirk becker An Sigrid Löffler kommt auch ein Jonathan Franzen nicht vorbei. Die Literaturkritikerin, langjährige Antipodin zu Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett und nun Herausgeberin der Zeitschrift Literaturen, hatte eigentlich vor, sich nie in die Übersetzung eines Romans einzumischen. Doch bei ihrer Heimatstadt Wien hört jeder Spaß auf. Als sie Franzen, dessen 2001 erschienenen Roman „The Corrections“ sie gerade gelesen hatte, bei einer Festveranstaltung traf, sprach sie ihn auf ein Kapitel seines Werkes an, in dem es um Wien geht. Fast nichts stimmte. Weder die Namen der Personen, weder die Lage der Wohnungen und deren Einrichtung, noch die Beschreibung eines Dienstmädchens. Sigrid Löfflers resolutes Auftreten überzeugte einen aufgeschlossenen Franzen. In der deutschen Übersetzung, die zu dieser Zeit gerade in Arbeit war, flossen all diese Hinweise ein. So wie Sigrid Löffler diese Anekdote am Donnerstagabend im Waschhaus erzählte, war wohl auch jeder der Anwesenden sofort von der Richtigkeit überzeugt. Zur hochkarätigen Auftaktveranstaltung einer Reihe von Gesprächen mit Übersetzern aus Brandenburg, hatte unter anderem das Brandenburgische Literaturbüro neben Sigrid Löffler, auch Bettina Abarbanell, die in Potsdam lebende Übersetzerin von „The Corrections“ und Christian Brückner eingeladen. Franzens Welterfolg als Lesung und Gespräch. Und so nahm Bettina Abarbanell Sigrid Löfflers Erzählung zum Anlass, um über ihre Übersetzungsarbeit zu berichten. Gut ein Jahr habe sie dafür gebraucht, die Geschichte von Alfred und Enid Lambert aus dem Mittelwesten Amerikas und deren Kinder Gary, Chip und Denise, ins Deutsche zu übertragen. Acht Jahre soll Jonathan Franzen an diesem, seinem dritten Roman, geschrieben haben. Ein sozialkritisches Epos über den Irrglauben Familie, in der Tradition der großen, universellen Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts, in dem Franzen auf wunderbare Weise fünf Lebensläufe mit aktuellen Phänomenen wie Gentechnologie, Pharmaindustrie, Internet, Börse und Kulturkritik in Verbindung bringt. „Die Korrekturen“ wurden ein Welterfolg, hierzulande sogar mit den „Buddenbrooks“ verglichen. Für Bettina Abarbanell war es immer wieder Herausforderung, sich mit den technischen Bereichen des Romans auseinander zu setzen. Ob nun Computertechnologie oder Börsenjargon, was Franzen so mühelos in die Handlung einarbeitete, hier musste sie sich oft Rat von Experten holen. Doch auch einfache Dinge, wie Wortspiele, gestalteten sich ab und an problematisch. Denn was im Englischen funktioniere, das lasse sich oftmals nicht ins Deutsche übertragen. Auf die fehlende Anerkennung, die sie als Übersetzerin erfahre, angesprochen, reagierte Bettina Abarbanell gelassen. Eine gute Rezension des Romans sei auch indirekt Anerkennung ihrer Arbeit. Denn in eine Übersetzung fließe immer der persönliche Ton des Übersetzers ein und trage so zum Erfolg des Buches bei. Wichtig bei ihrer Arbeit an „Die Korrekturen“ war es, den individuellen Ton der zahlreichen Personen wieder zu geben. Dass ihr dies gelungen ist, zeigt die Lesung von Christian Brückner. Brückner, Synchronstimme von Robert de Niro und Harvey Keitel, las ein Kapitel über die Kreuzschifffahrt von Alfred und Enid, das damit endet, dass der an Parkinson leidende Alfred über Bord geht. Ob die Angst Enids vor den nächtlichen Panikattacken ihres Mannes, das Gesäusel des Schiffarztes über ein fragwürdiges Medikament oder platten Argumente eines Investmentberaters, Brückner bewies Gespür für den Humor und die zahlreichen Nuancen in „Die Korrekturen“ und zeigte so, dass Franzens Roman nicht umsonst als Meisterwerk bezeichnet wird.

dirk becker

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